In ihrer Habilitation plädiert Prof. Dr. Monika Pfaffinger für einen Paradigmenwechsel im Datenschutzrecht mit einem neuen Recht auf informationellen Systemschutz.
Für die «Datenschutz Plaudereien» sprach ich mit Monika Pfaffinger über ihre Sicht auf den Datenschutz.
Im Podcast-Gespräch (Teil 1, Teil 2) erklärte Monika Pfaffinger einleitend, was unter dem Recht auf informationellen Systemschutz zu verstehen ist.
Im weiteren Gespräch diskutierten Monika Pfaffinger und ich unter anderem über den risikobasierten Ansatz im Datenschutzrecht, die Kritik am Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die Forderung nach informationellem Selbstschutz bzw. nach einem Recht auf digitale Unversehrtheit, die Problematik von Cookie-Bannern und Datenschutzerklärungen in der Praxis sowie über die Rolle des Staates beim Systemschutz.
Zum Schluss fasste Monika Pfaffinger zusammen, was für ein Anliegen sie mit ihrer Habilitation verfolgte, und kam auf persönliche Aspekte bei der wissenschaftlichen Arbeit zu sprechen.
Die Habilitation von Monika Pfaffinger ist eine Open Access-Publikation und steht zum freien Download als PDF-Datei zur Verfügung. Ferner ist die Habilitation in gedruckter Form im Buchhandel erhältlich.
DAT218 Recht auf informationellen Systemschutz (Teil 1)
DAT219 Paradigmenwechsel im Datenschutzrecht (Teil 2)
Transkript
Das nachfolgende Transkript wurde mit dem AI-Dienst CastMagic automatisiert erstellt. Es gilt das gesprochene Wort, denn das Transkript enthält Fehler.
Martin Steiger: Guten Tag, mein Name ist Martin Steiger. Herzlich willkommen zu den «Datenschutz-Plaudereien». Heute einmal mehr mit einem Spezialgast, und zwar eine Premiere. Mein heutiger Spezialgast ist Monika Pfaffinger. Ich habe sie eingeladen, sie nimmt sich Zeit, weil sie eine spannende Habilitation geschrieben hat mit dem Titel «Recht auf informationellen Systemschutz – Plädoyer für einen Paradigmenwechsel im Datenschutzrecht». Herzlich willkommen, Monika Pfaffinger. Was soll unser Publikum über Sie wissen? Ich kann vorwegnehmen, Sie haben eine umfangreiche Website, wo man sich auch verlieren kann, mit vielen Links und Informationen, die ich bei der Vorbereitung gemerkt habe. Auch ein LinkedIn-Profil. Aber jetzt zum Hören, was man über Sie wissen muss.
Monika Pfaffinger: Guten Tag, Herr Steiger. Vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr, die Gelegenheit zu haben, zu diesem Gespräch. Ich will Ihre schöne Eingangsfrage zielgerichtet beantworten und nicht bei Adam und Eva anfangen oder eben meinen Lebenslauf herunterrattern. Was muss man also über mich wissen oder vielleicht eher, was ist interessant über mich zu erfahren mit Blick auf das heute sehr interessante und bedeutsame Thema? Das Kernanliegen von mir als Juristin war immer der Schutz der Person in der Rechtsordnung und in der Gesellschaft. Und mich haben immer die besonders delikaten, grundlegenden und schwierigen Angelegenheiten besonders gelustet und gereizt. Aktuell bin ich Vorsitzende der Expertengruppe «Internationale Adoption» im Gesetz vom Bundesrat und vom Bundesamt für Justiz. Mit dem Adoptionsrecht habe ich mich bereits in meiner Doktorarbeit beschäftigt, und zwar genauer mit informationsrechtlichen Fragen im Familienkontext. Und jedes war zweimal mit Nachwuchsstipendien gefördert von der Uni Zürich. Sie breitet Titel, geheime und offene Formen der Adoption, Wirkungen von Information und Kontakt auf das Gleichgewicht im Adoptionsteilag». Die Erkenntnisse dieser These wurden ins Gesetz übertragen. Sie sehen also, dass ich mich schon immer mit informationsrechtlichen Herausforderungen beschäftigt habe. 2022 erschien meine 800-zeitige Habilitationsschrift unter dem Titel «Das Recht auf informationen Systemschutz – Pledeweine für einen Paradigmenwechsel im Datenschutzrecht». Darüber werden wir heute sprechen. Ich habe an der Uni Basel die Venial Legende für Privatrecht, Informationsrecht sowie Recht und neue Technologien. Das heisst auch, dass ich unterrichte, mit viel Fussakké, an verschiedenen Universitären und Hochschulinstitutionen. Zudem bin ich Erwerbstätig in der Praxis und lasst die Mutter einer Tochter.
Martin Steiger: Wunderbar. Ich empfehle, einen Blick auf die Homepage zu werfen. Hier verlinke ich den Shownotes. Genauso die Habilitation. Ich habe eine Freude festgestellt, die ist als echte Open Access. Die kann man unter der liberalsten möglichen Creative Commons-Lizenz abrufen. Das verlinken wir. Es ist interessant, wenn jemand nicht alles lesen kann, aber ein AI-Tool darüber laufen lässt, was das für Fragen beantwortet. Steigen wir doch gleich ein. Sie haben den Titel auch gesagt, «Das Recht auf informationellen Systemschutz». Was ist das?
Monika Pfaffinger: «Das Recht auf informationellen Systemschutz» – Ich habe ein Plädoyer für einen Paradigmenwechsel entwickelt. Das war eine Ableitung. Ich habe mich intensiv mit ganz vielen Quellen beschäftigt. Mit Märli, zum Ischdi, mit Geheimhaltungspflichten im Mittelalter und hier eigentlich herausgearbeitet, dass es im Datenschutzrecht ganz und gar nicht so ist, wie unser heutiger Konzept ist, quasi der Schutz der Person und der Persönlichkeit, deren Daten quasi wie Objekte zugeordnet sind, sondern dass es die Regelung von Datenflüssen zwischen verschiedenen Kontexten geht. Das Recht auf informationellen Systemschutz hat einen Vorschlag gemacht, wie wir ein neues Rechtskonzept denken und entwickeln können, dem Datenschutzrecht, das in meinen Augen klar verschiedene Schutzdimensionen anerkennen sollte, mehr Griffigkeit und Nachdruck verleihen kann.
Martin Steiger: Wir haben ein Datenschutzrecht. In der Schweiz wurde das Datenschutzgesetz in Europa seit mehr als fünf Jahren an die Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO, revidiert. Da floss sehr viel politisch und wissenschaftlich rein. Was ist das Problem? Wieso braucht es plötzlich etwas Neues, einen Paradigmenwechsel?
Monika Pfaffinger: Richtig, Das ist eine gute Frage. Das Datenschutzrecht und meine Habilitationsschrift, die wissenschaftliche Grundlagenforschung ist und nicht geschäftsbezogen ist, erlaubt mir, einen ganzen Weiterblick zu machen und einen tiefen Blick. Es ist ein chronologischer Weiterblick. Ich habe die Entwicklungen nachgezeichnet. Ich glaube, dass mit den jüngsten Revisionen und Anpassungen wichtige Schritte erfolgt sind. Man löst den Datenschutz klar auf dem strikt persönlichkeitsrechtlichen Ansatz. Es ist eine Compliance-Aufgabe geworden. Risikoerwägungen spielen eine Rolle. Man beginnt zu adressieren, dass das Konzept des Persönlichkeitsrechts, das für den Datenschutz im privaten Sektor gilt, irgendwie nicht gleich gut funktioniert. Es ist nicht das Gleiche, wie wenn Sie einen Autounfall haben, oder einen Ohrfeigen bekommen oder einen Schimpfchen angehängt bekommen. Das ist die Ausgangslage. Wir haben hier sehr interessante Entwicklungen geforscht. Es ist aber auch so, dass man in all diesen Rechtstexten, aber auch Urteilen und weiteren Texten, wenn man sie ein bisschen anders schliesst, auseinander die Perspektive sieht, dass es eben nicht nur den Schutz der Personen geht. Und die neuen Erlasse basieren sehr weitgehend auf dem Konzept, dass man den Schutz des einzelnen Individuums ins Zentrum rückt. Das Rest auf informationellen Systemschutz sagt, der Datenschutz muss auch die Integrität der trägenden gesellschaftlichen Kontexte, das ist der Begriff der Systeme, absichern und garantieren. Deshalb versteht man vielleicht auch, das Datenschutzrecht wird sehr interessant und ambivalent verhandelt. Es gibt Leute, die sagen, es sei lange ein Mauerblümchen gewesen in den Debatten und es habe eine riesige Lawine bekommen. Und es gibt Leute, die sagen, die Leute setzen sowieso ihre Einwilligungserklärung, ihr Haken ein, also ist der Datenschutz nicht wichtig. Das ist nicht richtig, das sieht man. Es gibt empirische Studien darüber, dass die Menschen sagen, nein, mir ist der Datenschutz wichtig. Wenn ich aber ein Buch kaufen will bei Amazon, dann will ich ein Buch kaufen. Dann will ich keine 20-zeitige Privacy-Erklärung lesen und studieren und sowieso nicht verstehen, an wem die Daten alles distribuiert werden. Die These dieses Buches ist, dass das Datenschutzrecht über einen Schutz der Systeme in dieser pluralen Gesellschaft effektiv leisten muss und in das eingebettet der Schutz der Person stattfindet. Die jüngsten Revisionen haben am Schluss an den grundlegenden Anknüpfungen nichts verändert.
Martin Steiger: Was die Revision betrifft, finde ich es interessant. Ich habe im Online-Kommentar zu neuen Datenschutzgesetzen in der Schweiz gesehen, in der Kommentierung von Artikel 22. Dort geht es datenschutzfolgeabschätzende Risikenbeurteilungen. Wie wird ihre Habilitation zitiert? Das ist mir aufgefallen. Unterstützen Sie diesen Kontext, wenn man sagt, Systemschutz und Datenschutzfolgeabschätzungen, Risikobeurteilungen?
Monika Pfaffinger: Unbedingt. Ich glaube, dass der Risikoansatz, der Compliance-Ansatz, dass die Unternehmer, also die Unternehmen, die Staaten, wer immer Personendaten verarbeitet, in der primären Pflicht steht, den Datenschutz einzuhalten und zu gewährleisten. Vor 30, 40 Jahren war es noch quasi, das Individuum muss sich verteidigen. Das Persönlichkeitsrecht, das ZGB 28, das den Datenschutz anknüpft, ist ein defensiv-rechtlich gedenktes Individualrecht. In der heutigen Zeit mit den grossen Tech-Giganten, wo alles vernetzt ist, wo Daten gepoolt werden, steht das Konzept auf dem verlorenen Posten. Der Ansatz von Antizipierenden, die Verantwortung bei den Verarbeitenden anzusiedeln, mit Risiko zu arbeiten, ist eine ganz wichtige Etappe in der Weiterentwicklung. Ein wichtiger Punkt zum Anfügen ist die Revision des DSG. Ich habe in meiner Rehabilitationsschrift drei Strukturmerkmale herausgearbeitet. Der Dualismus. Die Schweiz unterscheidet den öffentlichen Bereich vom privaten Bereich. Zweitens das generaloklauselartige Regime. Und drittens die persönlichkeitsrechtliche Anknüpfung. Und in der EU haben wir einen Monismus. Das heisst, die haben gesagt, wir machen eine Dachregelung sowohl für den staatlichen wie auch für den privaten Sektor. Da sehen Sie, Der Gedanke des systembezogenen Rechts ist durchaus angewiesen, aber man hat das noch nicht genügend zur Kenntnis genommen.
Martin Steiger: Bei dieser Gelegenheit als Publikum ein Tipp, wenn man das Ganze lesen will, ich empfehle, von hinten anzufangen. Sie haben die Zusammenfassung gemacht. Das erinnert mich an das, was Sie gesagt haben. Es ist sehr gut dargestellt. Man kann schauen, was in welchem Kapitel ist. Es gibt auch Kapitel, die, ich sage jetzt, mehr informativ als matchentscheidend sind. Auch historisch etc. Ich empfehle, dass man von hinten anfängt. Aber weil jetzt nicht alle anfangen zu lesen, finde ich noch eine wichtige Frage. Ist das Ganze auch eine Kritik am Recht auf informationelle Selbstbestimmung? Wie man sehr auf die Einzelperson abzielt? Oder wie Positionieren Sie sich dort?
Monika Pfaffinger: Ich möchte zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung etwas vorausschicken. Und zwar, meine Analyse des DSG für den privaten Bereich führt mich klar zum Schluss, dass die Schweiz kein Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbürgt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kommt vom Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Das ist konzeptionell ziemlich anders aufgestellt, weil dort steht am Anfang ein prinzipielles Verbot von Personendatenbearbeitungen, welches durch Erlaubnisstatbestände durchbrochen werden kann. Dann kommt die Einwilligung mit grosser Bedeutung. In der Schweiz ist das Konzept für den privaten Bereich anders. Wir haben eine prinzipielle freie Bearbeitungsmöglichkeit, die aber durch die grosse Bearbeitungsgrundsätze beschränkt wird. Das Datensubjekt hat nur ein Widerspruchsrecht. Es ist ein ganz anderes Konzept, das bei diesem Ausgangspunkt Freiheit der Personendatenbearbeitung im Grundsatz nimmt oder Verbot. Das war in meiner Sicht unglücklich in der Schweizer Debatte, dass man da nicht eine genügend tiefe Auseinandersetzung gemacht hat mit dem, was ist überhaupt das Recht, was beinhaltet es. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir klar sind, was dieses Recht beinhaltet. Das ist die erste Kritik, die ich klar anbringe. Ich taxiere das Regime im Datenschutz für den privaten Bereich als Missbrauchsgesetzgebung. Sie müssen die grossen Grundsätze Treu und Glauben, Verhältnismässigkeit etc. Einhalten, aber sie müssen nicht jedes Mal eine Einwilligung einholen. Und da gibt es ganz viel Irrglauben insofern. Das ist eher eine Kritik an der Rezeption von unserem Rechtsregime, von der BV und vom DSG. Dann hat man einfach das festgestellt, dass die Selbstbestimmung, wenn wir sie mal so ein bisschen assoziieren mit dem Willen, mit der Einwilligung, mit der informierten Einwilligung, mit einer Verfügung, einer Handlungsaktivität. Die funktioniert in der Realität nicht. Weder die Informiertheit noch die Freiwilligkeit funktionieren. Sie sind eigentlich zwungen. Sie lesen seitenweise Privacy-Erklärungen. Sie sagen einfach, sie wollen das Buch bestellen, dann machen sie den Haken. Trotzdem möchten Sie vielleicht nicht, dass das hinten an X andere Unternehmen transferiert wird und für andere Zwecke verarbeitet wird. Sie können vielleicht akzeptieren, dass der Online-Buchhändler das verwertet, Ihnen schöne Buchempfehlungen zu machen. Aber Sie möchten nicht, dass das z.B. In diverse weitere Kontexte transferiert wird. Es Es funktionieren viele Konzepte. Die informationelle Selbstbestimmung funktioniert nicht gut. Das ist eine Massnahme, die man festgestellt hat. Es ist oft das Narrativ aufgekommen, der Mensch wird von der Maschine zum Objekt degeneriert. Dann emanzipiert man ihn mit einer Selbstbestimmung, einer individuellen, die aber einfach in der Realität so nicht genügend griffig wird.
Martin Steiger: Wie stehen Sie dazu, zu dieser Realität, was wir ja häufig erleben, jetzt auch als unbeabsichtigende Folge des neuen Datenschutzgesetzes in der Schweiz, sind ganz viele neue Cookie-Panner. Ich habe gerade heute Morgen den Fahrplan bei der SBB abgerufen. Dort steht natürlich, ihre Privatsphäre ist uns wichtig. Dann steht die SBB und 111 Partner aktuell, die so ziemlich alle Daten, die sie über mich erfassen können, bei der Nutzung verarbeiten, zu Geld machen etc. Ich kann dann sagen, akzeptieren oder zwecken und zeigen. Ich kann nicht mal Nein sagen und ich kann auch nicht alles abwählen. Wie beurteilen Sie das? Das ist ja hochgradig scheinheilig.
Monika Pfaffinger: Scheinheilig ist der richtige Ausdruck. Es ist eine Illusion, Es ist ein Formalismus, der uns etwas suggeriert. Wenn sie aber ein Billett lösen wollen, dann möchten sie vielleicht. Dort sieht man die Forderung nach einem kontextuellen Ansatz, wie wichtig sie ist. Sie möchten nicht, dass alles beliebig verteilt wird. Das muss in Silos oder genau eroiert werden. Bei der SBB dürfen wir unter Umständen zu welchen Zwecken? Zweckbindung ist ein ganz wichtiger Grundsatz. Sie ist in meinen Augen der effektivste vom geltenden Recht, der im Moment verteilt wird. Sie als Individuum können das gar nicht bemerkenswert. Es ist sehr oft ein Take-it-or-Leave-it.
Martin Steiger: Das ist tatsächlich unbefriedigend. Sie sind nicht die Einzigen, die sich mit dem Thema befassen. Auch der Kritikkettel ist offen, dass wir ein Problem haben. Eine Reaktion ist die Forderung nach einem Recht auf informationellen Selbstschutz. Etwas, das sehr ähnlich klingt wie Systemschutz, das auch in der Romandie zum Teil Verfassungsrang bekommen hat, in gewissen Kantonen. Ich nehme an, Sie verfolgen das auch.
Monika Pfaffinger: Ich verfolge diese Debatte. Ich attestiere zunächst einmal, dass es interessant ist, dass obwohl es jetzt diese grossen Wählen gegeben hat mit der europäischen Datenschutzgrundverordnung, mit der Revision des DSG, weiterhin ziemlicher Druck auf dieser Pipeline gibt. Was man daran sieht, ist, dass die Menschen immer noch nicht ganz glücklich sind über die juristische und rechtliche Absicherung. Da ist immer noch Dynamik drin und das halte ich für richtig. Also quasi Nach der Revision ist vor der Revision. Ich habe in meiner Hobbylage auch festgestellt, dass das geltende Datenschutzrecht durchaus neue Ingredienzen bekommen hat durch diese Revisionen. Aber es bleibt auch ein Recht der analogen Welt, das in diesen tradierten Konzepten einfach verhaftet ist. Das Recht, das Sie erwähnt haben, anerkennt auch den Gedanken, wir brauchen ein digitales Recht. Der Datenschutz funktioniert in der digitalen Welt anders, weil alles miteinander vernetzt ist. Das Individuum steht zum Teil auf einem verlorenen Posten. Das ist, finde ich, auch eine interessante Feststellung. Wenn man sich das Recht genau anschaut, und das ist in der Debatte eine Schwierigkeit, das ist wie ein Kaleidoskop. Jeder versucht zu definieren, was den Datenschutz schützen muss. Es gibt x Definierungen von zum Teil brillanten Köpfen, die sich auch in der Geschichte mit der Privacy usw. Auseinandersetzen. Aber es fehlt furchtbar, das einzufangen. Was muss der Datenschutz eigentlich schützen? Das neue Red Hat im Moment in meinen Augen trotz allem die Schwäche, es ebnet die Forderung für ein digitales Recht und einen Datenschutz im digitalen Raum. Es bleibt aber, wenn man sich anschaut, was der genaue Inhalt ist, weiterhin so in dem Persönlichkeitsschutz von ZGB 28 oder auch von Grundrecht verhaftet, die am Schluss eigentlich schlicht und einfach defensiv-rechtliche Individualrechte sind. Und die greifen nicht genügend in dieser vernetzten Welt. Und natürlich die Kommerzialisierungsbegehrlichkeiten sind eine grosse Herausforderung, Dass Daten eben kommerzialisiert werden und dann quasi die Logiken, die in den einzelnen Gesellschaftskontexten gelten und geschützt werden sollen, einfach korrumpiert werden.
Martin Steiger: Jetzt bei dem Ganzen fällt mir auf, die Begriffe klingen ja alle gut. Also informationelle Selbstbestimmung, informationeller Selbstschutz bei einem informationellen Systemschutz. Das sind ja Dinge, die auch in einer Umfrage oder in einer Volksabstimmung schon nachher höchstens gesagt werden, dass das super ist. Eben, alle können sich auch etwas Eigenes darunter vorstellen. Wenn wir uns jetzt noch einmal den Systemschutz vor allem anschauen, wer sollte denn diesen Systemschutz eigentlich gewährleisten? Ich frage natürlich auch, weil nach meinem Verständnis traditionell ist das eine Staatsaufgabe. Wir haben ein System und dafür haben wir staatliche Strukturen, die versuchen, diese zu schützen unter gewissen Bedingungen, unter gewissen Prämissen. Was mir auffällt, ist, dass auch unser Eigenstaat in der Schweiz häufig gerade selber mit dem Datenschutz. Als aktuelles Thema hat die Tech-Journalistin Adrienne Fichter in der «Republik» schön aufgearbeitet, Kabelaufklärung. Also eine Massüberwachung durch ein Geheimdienst ohne Anlass, verdacht. Haben Sie für diesen Widerspruch eine Idee oder ist es gar kein Widerspruch?
Monika Pfaffinger: Das ist eine schöne Frage. Zunächst muss man sagen, dass das betrüblich ist. Ich habe vorhin schon einmal den Dualismus des Schweizer Datenschutzgesetzes erwähnt. Dass der Staat unter einem anderen Regime steht als die Privaten. Und der Staat hat ein prinzipielles Bearbeitungsverbot und es gilt eben dort vor allem das Legalitätsprinzip. Also der Staat wäre eigentlich relativ strikt gebunden. Er ist enger gebunden, als die Privaten mit der prinzipiellen Bearbeitungsfreiheit. Das heisst, wir sprechen hier eigentlich über ein Vollzugsdefizit. Das ist auch ein Grund für die Forderung, ein Neudenken und Konzeptionieren des Rechts. Es gibt bis heute massive Formen von Vollzugsdefiziten. Das, was in den Rechtserlassen verbürgt ist, wird faktisch einfach nicht umgesetzt. Ich glaube, da gibt es einen Aufholbedarf. Es kann nicht sein, dass datenschutzrechtlich längst verbürgte Grundsätze einfach nicht eingehalten werden. Das wäre natürlich ein erster Schritt. Ein zweiter Schritt ist, dass es einen richtigen Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen, von Erkenntnissen der Praktikerinnen und Praktiker, von der Zivilgesellschaft, wo man merkt, dass Störgefühle kommen. Es ist Ihnen vielleicht aufgefallen, wie oft in der Zeitung das richtig aufpoppt. Es ist den Menschen wichtig, was mit ihren Daten passiert. Und gewisse Datenbearbeitungsformen lösen ein grosses Unbehagen aus. Und auch ein Protest. Und das müssen wir ernst nehmen. Das können wir als Indikator nehmen für Eine Weiterentwicklung des Datenschutzrechts. Ich glaube, das Datenschutzrecht muss sich weiterentwickeln. Und jawohl, der Staat wird eine tragende Rolle einnehmen, in den Gesetzen zu formulieren, unter welchen Bedingungen Personendaten in welchen Kontexten fliessen dürfen. Anonymisiert. Wann gibt es absolute Blockaden? Wie sichert man das technisch ab?
Martin Steiger: Sind Sie optimistisch, dass wir hierher kommen? Es gibt verschiedene Stimmen, Ihre Habilitation, die Digitale Gesellschaft hat gerade ein neues Datenschutzkonzept veröffentlicht, das mich zum Teil an das erinnert, was Sie schreiben. Bei der informationellen Selbstbestimmung kommt man langsam zum Ergebnis, ja, das klingt zwar gut, aber viel Fleisch am Knochen haben wir nicht. In der Schweiz haben wir Grund zum Optimismus.
Monika Pfaffinger: Der Optimismus wurde ja jetzt im Zuge des Jahreswechsels relativ intensiv diskutiert, dass man sagte, der Menschen sei die Hoffnung und der Optimismus verloren gegangen. Es sind anspruchsvolle Zeiten geworden. Ich glaube, es ist wichtig, dran zu bleiben, zu sagen, wir möchten die grundlegenden Probleme und Herausforderungen lösen. Und Wir können das auch. Die Ernsthaftigkeit, der Dialog miteinander ist ganz wichtig. Ich würde meinen, der Datenschutz war ein Mauerblümchen. Er hat eine Aufwertung bekommen, aber er ist noch nicht anerkannt, was er ist. Der Datenschutz sichert unsere Demokratie ab, die Rechtsstaatlichkeit, den Sozialstaat etc. Und darum löst er auch so viel Unbehagen aus, wenn man das Gefühl hat, da laufen Sachen nicht gut. Aber ich glaube, wir haben genügend Menschen, die in der Lage sind, Lösungen zu formulieren. Wir haben Wege, wie das dann auch rezipiert wird. In meiner Dissertation ist genau das passiert. Ich habe einen Vorschlag gemacht, wie die Rechte der Parteien im Familieninformationsrecht besser gestaltet werden können. Das wurde ins Gesetz eingeflossen. Auch die Übersetzungen von einem Kontext in einem anderen funktioniert eigentlich relativ gut. Daher können wir schon optimistisch sein.
Martin Steiger: Das finde ich gut, wenn wir damit den Optimismus enden können. Ich muss noch eine letzte Frage stellen, weil ich glaube, allen, die «Die Habitation» lesen, fällt die Widmung am Anfang auf. Ich bin nicht der Erste, der das erwähnt. Dort wird Ella erwähnt, die ihre Tochter. Drei Wünsche im Dezember 2018. Sie hat sich ein Pferd gewünscht, das sie zaubern kann, und dass ihre Mama mit ihrem Buch fertig wird. Wie war das bei der Fertigstellung? Ist ihre Tochter zu Recht sehr stolz auf sie? Wie ging das aus?
Monika Pfaffinger: Es freut mich, dass Sie das ansprechen. Ella Zadel hat mit ihrer ersten krackeligen Schrift in der Adventszeit niedergeschrieben. Sie hat das mitbekommen. Die Habilitation fand parallel zur Erwerbstätigkeit, zur Betreuungsarbeit etc. Statt. Das war sehr anspruchsvoll. Die Zettel brachte sie aus der Schule nach Hause und ich legte den säuberlich in Akten. Dann überlegte ich mir bei der Publikation meines Buches, ob ich das publizieren soll oder nicht. Ist das zu privat, zu intim oder nicht? Ich habe mich entschieden, das zu machen, weil ich die Frage wichtig frage. Wer ist jemand? Wir sind kein Einheitssubjekt, sondern Menschen mit diversen, verschiedenen Rollen. Ich glaube, dass Ella sich durchaus freut. Sie will Anwältin werden, vielleicht befasst sie sich irgendwann mit meinem Buch. Aber ich habe ihren Wunsch erfüllt, und das macht mich natürlich glücklich.
Martin Steiger: Super, diese Widmung ist wie ein Denkanstoss für sie, unabhängig vom Buch. Gerade wenn man mit Kindern wie kleinen Kindern arbeitet, weiss man als erwachsene Person, die nehmen die Welt wirklich anders wahr. Das sieht man auch aus gewissen äusserlichen Fragen, gerade auch über unsere Berufstätigkeit. Oder auch wenn man im Recht ist. Das ist ja sehr abstrakt, nicht immer einfach zu vermitteln. Ja, machen wir da Schluss. Vielen Dank für die Erklärungen, vielen Dank für die Zeit. Wie gesagt, wird in den Shownotes noch verlinkt. Also man kann die Habilitation wirklich in Open Access herunterladen, gibt es aber natürlich auch gedruckt im Buchhandel. Wer das will, nochmal den Verweis auf die wirklich sehr informative Website. Eben, ich empfehle nur darauf zu gehen, wenn man ein bisschen Zeit hat, weil es hat unendlich viele Links, wo man dann auf Interviews stösst und Projekte und Publikationen. Also alles sehr gut. Ja, Vielen Dank und weiterhin alles Gute.
Siehe auch: 40 Jahre Volkszählungsurteil: Ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur eine Illusion?