Darf die Schweizer Armee in Zukunft jederzeit Informatiker und IT-Unternehmen zwangsverpflichten?

Bild: Soldaten der Schweizer Armee, die private IT-Ausrüstung beschlagnahmen (KI-generiert)

Die ausgehungerte Schweizer Armee ist bereits in Friedenszeiten nicht in der Lage, ihre IT-Sicherheit mit eigenen Mitteln zu gewährleisten. Mit dem revidierten Militärgesetz soll sich die Armee bei Bedarf bei zivilen Unternehmen und Zivilpersonen mitsamt ihrer IT-Infrastruktur bedienen können.

Die neue Pflicht versteckt sich in Art. 95 des Entwurfs für das revidierte Militärgesetz (MG), wie die NZZ am Sonntag aufgedeckt hat.

Art. 95 MG im Entwurf trägt den Titel «Betriebskontinuität und Resilienz» und lautet im massgeblichen Abs. 1 wie folgt:

«Zum Schutz der Lieferketten der Armee und der militärischen Informations- und Kommunikationstechnologie sowie zur Erhaltung der Betriebskontinuität und der Resilienz gegenüber Bedrohungen, insbesondere im Cyberbereich, können die Militärverwaltung und die Armee mit Ausnahme von Funkfrequenzen:

a. die Nutzung von Requisitionsgütern einschränken oder verbieten;

b. Requisitionsgüter requirieren.»

Die «Erhaltung der Betriebskontinuität und der Resilienz» sind gewöhnlicher Militäralltag. Die Schweizer Armee sollte dafür selbst kompetent sein oder – ausnahmsweise – die entsprechenden Leistungen bei der Privatwirtschaft einkaufen können.

Möglichkeiten zur sogenannten Requisition bei Privaten bestehen bereits heute im Zusammenhang mit dem Aktiv- und Assistenzdienst, das heisst in erster Linie im Kriegsfall, aber auch bei militärischen Unterstützungseinsätzen wie – umstritten – am jährlichen World Economic Forum sowie den jeweiligen notwendigen Vorbereitungen (Art. 80 MG).

Die heutigen Möglichkeiten sind allerdings auf «bewegliches und unbewegliches Eigentum» beschränkt:

«Bisher hatte die Armee im Rahmen der Requisition bloss die Möglichkeit, den militärischen Betrieb über Unternehmen mit öffentlichen Aufgaben zu verhängen oder Fahrzeuge zu beschlagnahmen. Erinnerungen an den Kalten Krieg werden wach. Damals konnte man gewisse Auto-Typen günstiger erwerben, im Gegenzug musste man sie im Kriegsfall der Armee überlassen.»

NZZ am Sonntag, 4. Februar 2024

Dienstpflicht für Informatiker und IT-Unternehmen: Was ist geplant?

Mit dem revidierten Militärgesetz sollen die Requisitionsmöglichkeiten auf «beherrschbare Naturkräfte wie etwa Strom, Daten und Funkfrequenzen», «Immaterialgüter» und «Arbeits- und Dienstleistungen» erweitert werden.

Im Zusammenspiel mit dem neuen Art. 95 MG müssten Unternehmen und Zivilpersonen, die in der Schweiz über Kompetenzen in den Bereichen «Informations- und Kommunikationstechnologie», «Erhaltung der Betriebskontinuität» und «Resilienz gegenüber Bedrohungen, insbesondere im Cyberbereich» verfügen, jederzeit damit rechnen, Zwangsleistungen für die Schweizer Armee erbringen zu müssen:

«Für Betroffene sind die Auswirkungen dieser sogenannten Requisition massiv. Privatwirtschaftlich angestellte Programmierer, Projektleiterinnen und Entwickler arbeiten von einem Tag auf den anderen im Auftrag der Armee, Firmen müssen Rechenzentren und Server zur Verfügung stellen.»

Und:

«‹Grundsätzlich bezieht sich diese Möglichkeit auf jede Arbeits- und Dienstleistung›, macht das Verteidigungsdepartement auf Anfrage klar. Es gehe um Leistungen, welche die Armee nicht mit eigenen Mitteln erbringen könne, welche aber für die Auftragserfüllung unabdingbar seien. Einschränkungen sieht der Gesetzestext also nicht vor. […]»

NZZ am Sonntag, 4. Februar 2024

«Cyberwar» herrscht – je nach Definition – immer. Genauso mangelt es der Schweizer Armee auf absehbare Zeit an Mitteln (und Kompetenzen) im IT-Bereich:

«‹Es sind zu wenig Personal-Ressourcen vorhanden, um parallel den laufenden Betrieb der Armeeinformatik sicherzustellen und gleichzeitig die weiteren IKT-Projekte zu bewältigen.› […] Die Armee kämpfe mit einem Personalmangel bei den IT-Spezialisten […].»

Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 21. April 2022

Die erforderliche Genehmigung durch den Bundesrat für die Requisition dürfte Formsache sein. Der Bund soll zwar eine «angemessene Entschädigung» leisten, was bei der notorisch unterfinanzierten Schweizer Armee aber kaum die tatsächlichen Kosten der Privatwirtschaft decken dürfte. Dabei führt bereits die Allgemeine Dienstpflicht für Schweizer Staatsbürger zu erheblichen Kosten für Unternehmen.

Kritik: Wie äussern sich Economiesuisse und die Digitale Gesellschaft?

Kritik am Vorhaben gibt es kaum. Im Wesentlichen äusserten sich Economiesuisse und die Digitale Gesellschaft kritisch.

Für die Digitale Gesellschaft werde ich in der NZZ am Sonntag insbesondere wie folgt zitiert:

«‹Es wirkt ein bisschen so, als würde eine absolute Dienstpflicht durch die Hintertür eingeführt›, sagt Steiger. Er beklagt eine ‹zunehmende Militarisierung bei der Cybersicherheit›. Dies sehe man auch daran, dass das Bundesamt für Cybersicherheit Anfang Januar ins Verteidigungsdepartement transferiert wurde.»

NZZ am Sonntag, 4. Februar 2024

Nationalrat Franz Grüter (SVP) und IT-Unternehmer mit den «Green»-Rechenzentren in der Schweiz beispielsweise stört sich nicht an den neuen Requisitionsmöglichkeiten, sofern die eigenen Rechenzentren nicht betroffen sind:

«‹Wenn die Ressourcen der Armee nicht reichen, ist ein Zugriff auf Unternehmen zulässig›, sagt […] Grüter […]. Fragezeichen hat allerdings auch er, und zwar bei der Beschlagnahmung von digitaler Infrastruktur. ‹Rechenzentren oder Server sind operationelle Systeme, deren Funktion für die Unternehmen selbst kritisch ist […]. Soll wirklich die Rechenleistung von Unternehmens-Servern beschlagnahmt werden, welche dann dort fehlt? Wie stellt sich die Armee dies vor?›»

NZZ am Sonntag, 4. Februar 2024

Naheliegende Lösung: Schweizer Armee mit eigenen Kompetenzen auch in Friedenszeiten

Die Lösung als Alternative zur «Dienstpflicht in Friedenszeiten» wäre naheliegend:

  • Einerseits sollte die Schweizer Armee in Friedenszeiten in der Lage sein, ihre Aufgaben mit eigenen Mitteln zu erfüllen.
  • Andererseits sollte die Schweizer Armee Leistungen der Privatwirtschaft, die sie in Friedenszeiten in bestimmten künftigen Fällen ausnahmsweise benötigen könnte, ausschreiben – und zwar zu Marktpreisen.

In diese Richtung zielt auch Economiesuisse:

«In Zeiten von neuen, diffusen Bedrohungslagen sollten auch neue Formen der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft gesucht werden.»

Und:

«Die Innovation der Privatwirtschaft kann einen wichtigen strategischen Vorteil bringen› sagt Herzog und verweist auf die Ukraine. ‹Dort hat zum Beispiel Microsoft einen wichtigen Beitrag zum Schutz der ukrainischen IT-Systeme geleistet und Daten in der Cloud gesichert, Elon Musk stellte dem Land seinen Satellitendienst Starlink zur Verfügung und sicherte damit die digitale Kommunikation.›»

NZZ am Sonntag, 4. Februar 2024

Der Verweis auf die Privatwirtschaft zeigt allerdings, wo ein erhebliches Problem liegt:

Microsoft und Starlink sind amerikanische Angebote. Auch in der Schweiz ist die private IT-Infrastruktur grossmehrheitlich von ausländischen Anbietern abhängig, deren Leistungen nicht requiriert werden können. Ferner arbeiten in der schweizerischen IT-Industrie viele ausländische Staatsbürger, denen es üblicherweise verboten ist, Militärdienst für fremde Staaten zu leisten.

Die Ukraine spürte ihre Abhängigkeit bei Starlink bereits schmerzhaft (Archivkopie). In der Schweiz stammt die IT-Infrastruktur zum Teil von chinesischen Anbietern, also aus einem mit Russland verbündeten Staat.

Das Ziel müsste deshalb sein, dass die Schweizer Armee wieder kompetent wird, ihre Aufgaben selbst zu erfüllen – auch im digitalen Raum.

Für Aufgaben, die für die Auftragserfüllung unabdingbar sind, darf die Schweizer Armee nicht von privaten IT-Unternehmen und ausländischen Tech-Konzernen abhängig sein.

Ob die Kompetenz, die entsprechenden Kompetenzen wieder zu erlangen, noch vorhanden ist oder wieder aufgebaut werden kann, steht allerdings in den Sternen. Momentan ist die Schweizer Armee nicht einmal in der Lage, gekaufte Rüstungsgüter fristgerecht zu bezahlen.

Siehe auch: Flexiblere Rekrutenschulen und Digitalisierung der Armee: Vernehmlassung zu diversen Neuerungen (Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, VBS)

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