Wer Strafantrag wegen Ehrverletzung stellt, muss in der Schweiz fast immer damit rechnen, erst einmal eine Sicherheit leisten zu müssen.
Wenn das Opfer einer Ehrverletzung den geforderten Geldbetrag nicht rechtzeitig bezahlen kann, gibt es keine Ermittlungen oder Untersuchungen der Strafbehörden.
Die Neuerung zum Nachteil der Opfer von Ehrverletzungen wurde mit der Revision der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) per 1. Januar 2024 eingeführt.
Der einschlägige neue Art. 303a StPO betreffend Sicherheitsleistung bei Ehrverletzungsdelikten lautet wie folgt:
«Bei Ehrverletzungsdelikten kann die Staatsanwaltschaft die antragstellende Person auffordern, innert einer Frist für allfällige Kosten und Entschädigungen eine Sicherheit zu leisten.
Wird die Sicherheit nicht fristgerecht geleistet, so gilt der Strafantrag als zurückgezogen.»
Als Ehrverletzungsdelikte gelten insbesondere die üble Nachrede (Art. 173 StGB), die Verleumdung (Art. 174 StGB) und die Beschimpfung (Art. 177 StGB). Die Strafverfolgung erfolgt nur, wenn rechtzeitig ein Strafantrag gestellt wird (Art. 30 f. StGB).
Die Ehrverletzungsdelikte sind vor allem für Opfer von Hatern, Stalkern und Trollen ein wichtiges Mittel, um sich verteidigen zu können. Viele Opfer können sich ein zivilrechtliches Vorgehen vor Gericht nicht leisten und müssen deshalb auf die Strafverfolgung hoffen.
Hater, Stalker und Trolle dürfen sich freuen: Bundesrat und Staatsanwälte kapitulieren vor Ehrverletzungen im Internet (2018)
Bei der Sicherheitsleistung handelt es sich um eine «kann»-Bestimmung. Die Erfahrung mit Kostenvorschüssen in Zivilverfahren gemäss Art. 98 ZPO zeigt aber, dass eine solche «kann»-Bestimmung von den Behörden als «fast immer»-Bestimmung verstanden wird.
In der Vernehmlassung hatten die Kantone die neue Bestimmung denn auch nicht nur begrüsst, sondern teilweise sogar einen Mindestbeitrag für den Kostenvorschuss gefordert.
Erste Erfahrungen: Kantone fordern fast immer Kostenvorschuss bei Ehrverletzungsdelikten
Tatsächlich deuten erste Erfahrungen darauf hin, dass Staatsanwaltschaften von der neuen Möglichkeit fast immer Gebrauch machen, manchmal mit Beträgen von über 1’000 Franken.
Staatsanwaltschaften, nach eigenen Angaben häufig überlastet, können sich damit mindestens einen Teil der ungeliebten Verfahren wegen Ehrverletzungen vom Hals halten.
Kanton Freiburg: 300 Franken Kostenvorschuss mit möglicher Ratenzahlung
Im Kanton Freiburg soll gemäss der neuen Richtlinie Nr. 1.19 des Generalstaatsanwalts vom 19. Dezember 2023 betreffend die Sicherheitsleistung bei Ehrverletzungsdelikten systematisch ein Kostenvorschuss erhoben werden, normalerweise in Höhe von 300 Franken (Archivkopie).
Die Sicherheitsleistung kann unter Umständen in sechs monatlichen Raten bezahlt werden. Bei Ratenzahlung wird der Strafantrag ab Eingang der zweiten Rate behandelt.
Ein Verzicht auf den Kostenvorschuss ist vorgesehen, wenn ein Zusammenhang mit Diskriminierung gemäss Art. 261bis StGB oder mit häuslicher Gewalt besteht.
Kanton Zürich: Kostenvorschuss mit Zahlungsfrist von 20 Tagen
Im Kanton Zürich gilt gemäss den Weisungen der Oberstaatsanwaltschaft (WOSTA) vom 1. Januar 2024, dass in der Regel eine Kaution verlangt wird (Archivkopie). Als Zahlungsfrist vorgesehen sind 20 Tage, ausnahmsweise erstreckbar um weitere 10 Tage.
Opfer können jeweils unentgeltliche Rechtspflege beantragen und müssen im Erfolgsfall keinen Kostenvorschuss bezahlen. Die Hürden für die unentgeltliche Rechtspflege sind allerdings hoch. Auch können die Kosten, um unentgeltliche Rechtspflege zu beantragen, den Betrag der geforderten Sicherheitsleistung übersteigen.
Siehe auch: Beleidigung leicht gemacht (Rechtsanwalt Bernhard Maag, 2019, Archivkopie)
Nachtrag vom 19. Februar 2023: Kostenvorschuss von 1’000 bis 3’000 Franken im Kanton Graubünden
«20 Minuten» berichtet über einen Fall im Kanton Graubünden mit einem Kostenvorschuss von 1’500 Franken.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden äusserte sich gegenüber «20 Minuten» unter anderem wie folgt:
«Laut der Staatsanwaltschaft Graubünden wird bei Ehrverletzungsdelikten in der Regel ein Vorschuss vom Anzeigeerstatter verlangt. ‹Bei schwerwiegenden Ehrverletzungsvorwürfen kann aber auf einen Vorschuss verzichtet werden›, sagt Mediensprecher Bruno Ulmi. Welche als solche angesehen werden, hänge auch von der Art der Verbreitung ab oder davon, gegenüber wie vielen Personen der ehrverletzende Inhalt geäussert worden sei.
‹Meistens wird zwischen 1000 und 3000 Franken verlangt, diese Spanne kann aber im Einzelfall auch unter- oder überschritten werden›, sagt Ulmi. Bei der Berechnung der Vorschusshöhe werde die Bedeutung der Sache, die finanzielle Situation der antragstellenden Person sowie der Umstand, ob die beschuldigte Person anwaltlich vertreten ist, berücksichtigt.»
«20 Minuten» am 19. Februar 2024
Bilder: OpenAI / ChatGPT 4, Pixabay / myshoun, Pixabay-Lizenz.