Urteil: Beweis für rechtzeitigen Einwurf in Briefkasten nur mit Video und nicht mit Fotografie

Foto: Gelber Briefkasten mit einem roten Herz und der Beschriftung «Nur für Liebesbriefe!»

Der Nachweis für den rechtzeitigen Einwurf einer Klage in den Briefkasten muss mit einem Video erbracht werden. Eine Fotografie ist kein taugliches Beweismittel.

Das Bundesgericht hatte mit BGer 4D_76/2024 vom 13. September 2024 die Gelegenheit, diese Rechtsprechung auch auf Deutsch zu bestätigen (E. 3.4.3):

«Kein taugliches Beweismittel ist in diesem Zusammenhang eine Fotografie des Briefumschlags, die zeigen soll, wie dieser in den Briefkasten geworfen wird. Denn eine Fotografie kann anders als etwa ein Video nicht beweisen, dass der Briefumschlag tatsächlich verschlossen eingeworfen wurde (vgl. Urteil 6B_569/2023 vom 31. Juli 2023 E. 1.2: ‹ne permettent pas d’établir que l’enveloppe contenant le recours a bien été glissée dans la boîte postale à la date et à l’heure indiquées et que le pli était déjà fermé au moment de la prise du cliché photographique.›).»

Im zitierten BGer 6B_569/2023 auf Französisch hatte sich das Bundesgericht im Volltext – in automatischer deutscher Übersetzung – wie folgt geäussert:

«Es obliegt daher dem Beschwerdeführer, den strengen Beweis für die Einhaltung der Beschwerdefrist beim Bundesgericht zu erbringen. In diesem Zusammenhang reichte der Vertreter des Beschwerdeführers ein Foto ein, welches nur die obere rechte Ecke des Umschlags mit dem Fenster zeigt, durch welches der Empfänger des Briefes, in diesem Fall das Bundesgericht, zu sehen ist und im Hintergrund das Postfach der Schweizerischen Post. Obwohl die beigefügten Metadaten darauf hindeuten, dass das Foto am 1. Mai 2023 um 23:56 Uhr aufgenommen wurde, kann damit kein strenger Beweis für die Einhaltung der 30-tägigen Beschwerdefrist erbracht werden. Im Gegensatz zu einer audiovisuellen Sequenz können sie nämlich nicht beweisen, dass der Umschlag mit der Beschwerde am angegebenen Datum und zur angegebenen Uhrzeit in das Postfach geworfen wurde und dass der Umschlag zum Zeitpunkt der Aufnahme des Fotos bereits geschlossen war. […].»

Ausgangslage: Einwurf einer Klage in den Briefkasten beim Gericht

Die Ausgangslage im vorliegenden Fall beschreibt das Bundesgericht unter anderem wie folgt:

«[Der Kläger reichte] beim Bezirksgericht Meilen eine auf den 26. Oktober 2023 datierte Klageschrift ein. […]

Die Klageschrift trägt den Vermerk ‹Persönlicher Einwurf in den Gerichtsbriefkasten am 27.10.2023 zwischen 21h30-22h30›. Auf der vom Kläger physisch eingereichten Version der Klageschrift brachte das Bezirksgericht einen Stempel an, wonach die Eingabe am 30. Oktober 2023 aus dem Briefkasten entnommen worden sei.»

(Der 26. Oktober 2023 war ein Donnerstag, der 27. Oktober ein Freitag und der 30. Oktober ein Montag.)

Und:

«Das Bezirksgericht führte keinen Schriftenwechsel durch und trat mit Verfügung vom 6. November 2023 auf die Klage nicht ein. Die dagegen gerichtete Berufung wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss [NP230037] vom 6. Mai 2024 ab.»

Rechtslage: Beweislast liegt beim Absender

Die Rechtslage sieht das Bundesgericht in diesem Zusammenhang wie folgt (E. 3.4.1):

«Die Frist darf bis zur letzten Minute des Tages ausgeschöpft werden. Der Absender trägt jedoch die Beweislast für die rechtzeitige Aufgabe. Ihm obliegt mithin der Nachweis, dass er seine Eingabe bis um 24:00 Uhr des letzten Tages der laufenden Frist der Post übergeben hat. Der Beweis wird in der Regel mit dem Poststempel erbracht […].

Soweit der Einwurf bei der Post nach Schalterschluss erfolgt und deshalb offensichtlich ist, dass der Eingangsstempel auf ein späteres Datum lauten wird, hat der Absender aufgrund der Vermutung, wonach das Datum des Stempels mit demjenigen der Übergabe übereinstimmt, geeignete Beweisvorkehrungen zu treffen für die Behauptung, die Sendung schon am Vortag der Abstempelung oder sogar noch früher in einen Briefkasten eingeworfen zu haben, um so die Vermutung zu widerlegen […]. Diese Grundsätze gelten analog auch vorliegend, wo die Klageschrift direkt in den Briefkasten der Erstinstanz eingeworfen wurde.»

Den Beweis konnte der Kläger, wie erwähnt, mit einer Fotografie nicht erbringen. Dabei wurde dem Kläger auch zum Verhängnis, dass er in der Schweiz als deutscher Rechtsanwalt auftrat, obwohl ihm in Deutschland die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen worden war.

Auf seinen Auftritt als «Rechtsanwalt» hatte den Kläger schon das Obergericht des Kantons Zürich behaftet, obwohl ihm bekannt gewesen muss, dass der Kläger in Deutschland nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassen war (Urteil NP230037 vom 6. Mai 2024, E. 3.2):

«Der Kläger gibt selbst an, ein in Deutschland zugelassener Anwalt zu sein, welcher in der Schweiz überdies einen Master of Law erworben habe. […] Er ist folglich als rechtskundiger Jurist und ausländischer Anwalt zu qualifizieren. Damit hätte er wissen müssen, dass er eine prozessuale Unsicherheit schuf, indem er behauptete am späten Abend des Fristablaufs die Klageschrift direkt in den Briefkasten des Gerichts geworfen zu haben. […].»

Das Bundesgericht nahm den Kläger ausdrücklich auch als «Rechtsanwalt» in die Verantwortung (E. 3.4.2):

«Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss ein Rechtsanwalt sich des Risikos bewusst sein, dass seine Sendung nicht am gleichen Tag abgestempelt wird, wenn er sie nach Schalterschluss in einen Briefkasten wirft. Schafft ein Rechtsanwalt eine derartige verfahrensmässige Unsicherheit über die Fristwahrung, muss er unaufgefordert (‹spontanément›) und vor Ablauf der Frist Beweismittel für die Behauptung der Rechtzeitigkeit anbieten, indem er beispielsweise auf dem Briefumschlag vermerkt, die Postsendung sei kurz vor Fristablauf in Anwesenheit von Zeugen in einen Briefkasten gelegt worden […].»

Neue Praxis: Kläger hätte Frist in jedem Fall verpasst

Die Frist für die Klage hätte der ehemalige Rechtsanwalt aber mindestens gemäss der neuen Bundesgerichtspraxis auch mit dem Einwurf am 26. Oktober 2024 verpasst (E. 3.3):

«Gemäss Art. 142 Abs. 1 ZPO beginnen Fristen, die durch eine Mitteilung oder den Eintritt eines Ereignisses ausgelöst werden, am folgenden Tag zu laufen. Berechnet sich eine Frist nach Monaten, so endet sie gemäss Art. 142 Abs. 2 ZPO im letzten Monat an dem Tag, der dieselbe Zahl trägt wie der Tag, an dem die Frist zu laufen begann. Fehlt der entsprechende Tag, so endet die Frist am letzten Tag des Monats.»

Und:

«Im Urteil 5A_691/2023 vom 13. August 2024 legte das Bundesgericht Art. 142 Abs. 1 und 2 ZPO aus und gelangte zum Ergebnis, dass Art. 142 Abs. 2 ZPO in dem Sinne zu verstehen ist, dass sich ‹der Tag, an dem die Frist zu laufen begann› nicht nach Art. 142 Abs. 1 ZPO richtet, sondern auf den Tag des fristauslösenden Ereignisses Bezug nimmt […]. Entgegen der Vorinstanzen begann die Frist zur Klageeinreichung gemäss Art. 209 Abs. 3 ZPO somit am 24. Juni 2023 zu laufen (Zustellung der Klagebewilligung) und endete – unter Berücksichtigung des Fristenstillstands während den Gerichtsferien vom 15. Juli 2023 bis und mit dem 15. August 2023 (Art. 145 Abs. 1 lit. b ZPO) – bereits am 26. Oktober 2023.»

Und deshalb:

«Selbst wenn man zugunsten des Beschwerdeführers mit den Vorinstanzen davon ausgehen möchte, die Frist sei erst am 27. Oktober 2023 abgelaufen, vermöchte er […] mit seinen Rügen nicht durchzudringen. »

(Auch via Anwaltskollege Konrad Jeker bei strafprozess.ch.)

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