DIGITALISIERUNG: E-Voting: An der Sicherheit scheiden sich die Geister

Der Bundesrat will das E-Voting vorantreiben, doch Kritiker äussern Sicherheitsbedenken. ­Sie fordern, die flächendeckende Einführung des elektronischen Stimmkanals zu stoppen.

Michel Burtscher
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Das elektronische Abstimmen und Wählen soll als dritter Stimmkanal etabliert werden. (Bild: Alessandro della Bella/Keystone)

Das elektronische Abstimmen und Wählen soll als dritter Stimmkanal etabliert werden. (Bild: Alessandro della Bella/Keystone)

Michel Burtscher

Es ist ein demokratiepolitisches Horrorszenario: Hacker dringen in ein E-Voting-System ein und verändern das Ergebnis einer Abstimmung oder einer Wahl. Es ist eine Gefahr, die nicht mehr unwahrscheinlich ist und eine, auf die mehrere Länder bereits reagiert haben: So untersagte Frankreich den Auslandfranzosen, bei den Parlamentswahlen im Juni elektronisch abzustimmen. Der Grund: das Risiko von Cyberattacken. Auch Norwegen hat seine E-Voting-Versuche 2014 aus Sicherheitsgründen ­abgebrochen.

Die Schweiz geht den entgegengesetzten Weg. Der Bundesrat treibt die Entwicklung des elektronischen Stimmkanals zwar langsam, aber stetig voran. Im April hat er beschlossen, die Versuchsphase zu beenden und das E-Voting in den ordentlichen Betrieb zu überführen. Bis 2019 sollen zwei Drittel der Kantone E-Voting einsetzen. Das ist jedenfalls der Plan des Bundes, denn für die Kantone bleibt es vorerst weiterhin freiwillig, ob sie ihrer Bevölkerung den zusätzlichen Stimmkanal anbieten wollen. Für die Landesregierung ist klar, dass dieser einem Bedürfnis entspricht.

Digitale Gesellschaft ist skeptisch

Im Parlament gibt es jedoch Widerstand gegen das Vorhaben. Zu den Kritikern gehört der Luzerner SVP-Nationalrat und IT-Unternehmer Franz Grüter. Er warnt: «E-Voting ist eine grosse Gefahr für unsere Demokratie.» Wissenschafter in den Vereinigten Staaten hätten bewiesen, dass solche Systeme im grossen Stil manipuliert werden könnten, sagt Grüter. Er fordert darum eine grundsätzliche Diskussion über das E-Voting. Ähnlich äussert sich der Zürcher SVP-Nationalrat Claudio Zanetti: «Es gibt schlicht keine Notwendigkeit, die Schweizer Demokratie dieser Gefahr auszusetzen.» Man habe hierzulande bereits heute ein tadelloses System, sagt Zanetti.

Skeptisch ist auch die Digitale Gesellschaft, die sich für Freiheit und Menschenrechte im digitalen Raum einsetzt. Mediensprecher und IT-Anwalt Martin Steiger betont: «Wir sind grundsätzlich grosse Befürworter der digitalen Demokratie, E-Voting lehnen wir jedoch ab.» Auch für ihn ist die Gefahr von Manipulationen zu gross.

Die Bundeskanzlei, welche die Einführung des elektronischen Stimmkanals koordiniert, beschwichtigt: Der Bund habe in seinen rechtlichen Bestimmungen die «besonderen Herausforderungen bezüglich der Sicherheit im Cyberraum» ausdrücklich berücksichtigt, teilt sie auf Anfrage mit. Eine wichtige Anforderung sei die vollständige Verifizierbarkeit. Damit werde gewährleistet, dass «systematische Fehlfunktionen infolge von Softwarefehlern, menschlichen Fehlleistungen oder Manipulationsversuchen mit unabhängigen Mitteln» erkannt werden können. Zudem muss der Quellcode der Systeme öffentlich publiziert werden. So können zumindest Experten beurteilen, ob die Sicherheit gewährleistet ist.

Widerstand im Parlament wird grösser

Die beiden Anbieter von E-Voting-Systemen in der Schweiz haben bereits angekündigt, dass sie diese vollständige Verifizierbarkeit bis 2018 umsetzen wollen. Für den Experten Uwe Serdült vom Zentrum für Demokratie Aarau ist klar: Die Sicherheit des elektronischen Stimmkanals sei mindestens gleichwertig wie die der brieflichen Stimmabgabe, sobald die universelle Verifizierbarkeit garantiert sei, hielt er vergangenes Jahr in einem Papier fest. Doch hier sieht Martin Steiger von der Digitalen Gesellschaft ein weiteres Problem: Ein solches System sei so kompliziert, dass die meisten Bürger gar nicht mehr verständen, was genau mit ihrer Stimme passiere, sagt er. «Wie sollen die Menschen einem Verfahren vertrauen, das sie nicht nachvollziehen können?»

Auch Franz Grüter hält an seiner Kritik fest: «Mir kann niemand erzählen, dass man die ­Sicherheit im Griff hat.» Er verweist auf die Hackerattacke auf das Rüstungsunternehmen Ruag, die lange unbemerkt blieb. In der Cyberabwehr gebe es in der Schweiz grossen Nachholbedarf, so Grüter. Für ihn ist klar: «Das Thema E-Voting ist noch nicht vom Tisch.» Er hat das Gefühl, dass sich der Wind im Parlament in der letzten Zeit gedreht habe und der Widerstand gegen das flächendeckende E-Voting grösser werde.