Bundesrätin Keller-Sutter: «DNA-Gesetz dem Fortschritt anpassen»

Bild: DNA-Abschnitt

Die neue Bundesrätin Karin Keller-Sutter kündigte an, als Schwerpunkt ihrer Arbeit das «DNA-Gesetz dem Fortschritt anpassen» zu wollen.

Die Digitale Gesellschaft diskutierte am Frühjahrestreffen 2019, was die Bundesrätin damit beabsichtigt und wie sich die Digitale Gesellschaft positionieren soll, zum Beispiel in der absehbaren Vernehmlassung.

Den Einstieg lieferte Rechtsanwalt Martin Steiger mit einem kurzen Referat.

Worum geht es beim revidierten DNA-Profil-Gesetz?

«Reif sei auch die Revision des DNA-Profil-Gesetzes, so Keller-Sutter weiter. Das fast 20-jährige Gesetz habe sich bewährt. Jetzt müsse es an den wissenschaftlichen Fortschritt angepasst werden, damit die Polizei noch gezielter und effizienter ermitteln könne. Die Vorlage soll deshalb noch in diesem Jahr in die Vernehmlassung gehen.»

(Bundesrätin Karin Keller-Sutter: Drei Monate im Amt – Schwerpunkte, 29. März 2019)

Das DNA-Profil-Gesetz trat am 1. Januar 2005 in Kraft und wurde zuletzt per 1. Oktober 2016 revidiert. Offiziell heisst es Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen.

Wie funktioniert die Identifizierung von Personen?

«Der Bund unterhält eine Datenbank mit rund 192’000 DNA-Profilen von verurteilten Straftätern und Beschuldigten. Findet die Polizei an einem Tatort verdächtige Spuren, gleicht sie diese mit der DNA-Datenbank ab. Gibt es eine Übereinstimmung, kann die Polizei gezielt die betreffende Person befragen. Die Methode ist ein Erfolgsrezept: Jährlich stimmen gegen 6000 Tatortspuren mit einer in der Datenbank verzeichneten Person überein. Nicht selten handelt es sich dabei um den Täter.«

(Roger Braun: Karin Keller-Sutter will DNA-Analysen ausweiten – Datenschützer sind alarmiert, Watson, 14. April 2019)

Nicht selten …?

In Basel beispielsweise wurde eine beschuldigte Person zu Unrecht verurteilt, weil ihre DNA an einem Tatort gefunden worden war.

In Deutschland sorgte das «Heilbronner Phantom» für Schlagzeilen:

«Ende März 2009 wurde schließlich nachgewiesen, dass es sich bei den in Heilbronn und an den anderen Tatorten erhobenen Spuren um diagnostische Artefakte gehandelt hat. Die zur Spurensicherung verwendeten Wattestäbchen waren verunreinigt […].»

Leseempfehlung: Inside the Cell: The Dark Side of Forensic DNA von Erin E. Murphy (NYU School of Law).

Was plant Bundesrätin Keller-Sutter für das revidierte DNA-Profil-Gesetz?

  • Phänotypisierung: «Keller-Sutter will der Polizei nun ermöglichen, die DNA-Spuren inhaltlich auszuwerten, um Hinweise auf das Aussehen des Täters zu erhalten.»
  • Verwandtenrecherche: «Diese basiert auf dem Umstand, dass wer verwandt ist, auch ein Grossteil des Erbguts teilt. Damit wird es möglich einen Täter über einen Familienangehörigen zu finden, der in der zentralen DNA-Datenbank verzeichnet ist.»

(Roger Braun bei Watson: Karin Keller-Sutter will DNA-Analysen ausweiten – Datenschützer sind alarmiert am 14. April 2019)

Vorarbeitet leistete insbesondere Nationalrat Albert Vitali (FDP) mit seiner Motion 15.4150 mit dem populistischen Titel «Kein Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger», die – auch auf Antrag des Bundesrat – sowohl vom Nationalrat als auch vom Ständerat angenommen wurde.

«Geplant» ist übrigens falsch:

«In der Schweiz wird die Verwandtenrecherche bereits praktiziert – obwohl eine klare gesetzliche Grundlage fehlt. Im Jahr 2015 erstritt sich der Kanton Genf vor Bundesstrafgericht dieses Recht in einem ungeklärten Tötungsdelikt. Seither wurde die Fahndungsmethode bei weiteren 14 schweren Gewaltdelikten eingesetzt, zum Beispiel in Emmen oder beim Vierfachmord in Rupperswil. Keller-Sutter will nun eine klare gesetzliche Regelung schaffen, um die Voraussetzung des Einsatzes zu klären.»

(Roger Braun: Karin Keller-Sutter will DNA-Analysen ausweiten – Datenschützer sind alarmiert, Watson, 14. April 2019)

Wenn der Journalist schreibt, es fehle eine «klare gesetzliche Grundlage» und die Bundesrätin eine «klare gesetzliche Regelung» schaffen möchte, dann bedeutet das, dass es bislang keine gesetzliche Grundlage gibt. Eine gesetzliche Grundlage wäre in einem Rechtsstaat, der diesen Namen verdient, immer notwendig (Art. 36 Abs. 1 BV).

Was sagen der Datenschützer und die Wissenschaftlerin?

Dr. Adrian Lobsiger, der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) äusserte sich unter anderem wie folgt:

«Lobsiger begrüsst eine gesetzliche Grundlage im Grundsatz. Für ihn ritzt die Verwandtenrecherche allerdings das Zeugnisverweigerungsrecht von Verwandten. Bei einem gewöhnlichen Strafverfahren können Auskunftspersonen ihre Aussage verweigern, um ihre Familienangehörigen nicht zu belasten. Anders bei der Verwandtenrecherche: Ungefragt könnte eine in der Datenbank vermerkte Person einen Familienangehörigen der Polizei ausliefern. ‹In diesem indirekten Belastungszwang sehe ich einen systemischen Bruch mit unserer Rechtstradition›, sagt Lobsiger.»

(Roger Braun: Karin Keller-Sutter will DNA-Analysen ausweiten – Datenschützer sind alarmiert, Watson, 14. April 2019)

Heute sieht die Strafprozessordnung unter anderem vor, dass Ehegatten, eingetragene Partner und Verwandte einer beschuldigten Person das Zeugnis verweigern können (Art. 168 StPO).

Screenshot: Dr. Silvia Utz im Interview mit dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)

Dr. Silvia Utz vom Institut für Rechtsmedizin an der Universität Bern zeigte die wissenschaftlichen Grenzen mit Aussagen wie «nicht schlecht», «mit gemischtem Erfolg» und «mit Vorsicht zu geniessen» auf. Ausserdem seien die Erwartungen «aktuell viel zu hoch».

(Jacqueline Schwerzmann: Gesetz zur DNA-Phänotypisierung ist in der Pipeline: Segen oder Fluch?, SRF, 4. April 2019)

Wie positioniert sich die Digitale Gesellschaft?

Nach dem Vortrag zum Einstieg wurden am Frühjahrestreffen offene Fragen und mögliche Positionen diskutiert. Diskussionspunkte waren unter anderem:

  • Öffentliche Wahrnehmung der Digitalen Gesellschaft?
  • Rechtsstaat oder bloss «Rechtsstaat»? Eine gesetzliche Grundlage ist immer notwendig, aber allein nicht hinreichend. Und wie steht es um die Transparenz, Transparenz, insbesondere Justizöffentlichkeit, auch beim DNA-Profil-Gesetz?
  • Teilnahme an der Vernehmlassung: Positionen zur Phänotypisierung und zur Verwandtenrecherche?

Die Digitale Gesellschaft wird sich voraussichtlich an der Vernehmlassung zum revidierten DNA-Profil-Gesetz beteiligen. Der Verein grundrechte.ch, ein Mitglied der Digitalen Gesellschaft, hat sich bereits ablehnend geäussert.

Bild: Pixabay / lisichik, Public Domain-ähnlich.

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