E-Voting: Ohne Vertrauen, um jeden Preis

E-Voting bringt unnötige Risiken mit sich. Die Ressourcen dafür würden besser für eine Optimierung der bewährten Abstimmung per Brief verwendet.

Am kommenden Sonntag, 28. November 2010 werden in der Schweiz auf Bundesebene die Stimmen zur «Ausschaffungsinitiative» und dem entsprechenden bundesrätlichen Gegenentwurf sowie zur «Steuergerechtigkeits»-Initiative ausgezählt.

voting machine
Bild: Flickr/RogueSun Media, CC BY-ND-Lizenz.

Ein Teil dieser Stimmen wird per E-Voting (Vote électronique) erfasst worden sein, beispielsweise in Versuchsgemeinden im Kanton Zürich oder von einem Teil der so so genannten Auslandschweizer, das heisst Personen mit Schweizer Staatsangehörigkeit, die ausserhalb der Schweiz ansässig sind und E-Voting nutzen können (siehe dazu unseren Artikel «Elektronische Stimmabgabe im Test»).

Mindestanforderungen an E-Voting

Direktdemokratische Abstimmungen und Wahlen müssen gemäss der deutschsprachigen Wikipedia folgende Mindestanforderungen erfüllen, um politisch ausreichend legitimierte Entscheidungen herbeizuführen:

  • Berechtigung: Nur die Personen, die zur Wahl zugelassen sind, dürfen Stimmen abgeben.
  • Gleichheit: Jeder Wähler darf nur einmalig und mit gleichem Stimmengewicht abstimmen. […]
  • Privatheit: Niemand kann ermitteln, welche Stimme ein Wähler abgegeben hat. [Stimmgeheimnis, Wahlgeheimnis.]
  • Fälschungssicherheit: Gültige Stimmen dürfen nicht verändert (gefälscht) werden. Gültige Stimmen dürfen nicht vernichtet werden. Es dürfen keine Stimmen hinzugefügt werden, insbesondere dürfen aus ungültigen Stimmen keine gültigen gemacht werden.
  • Überprüfbarkeit: Jeder Wähler hat die Möglichkeit, unabhängig von jeder anderen Person die Korrektheit der Wahl einschließlich aller vorher genannten Punkte zu prüfen.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Stimm- und Wahlverfahren via Urne oder brieflich auf dem Postweg kann E-Voting diese Anforderungen aber nicht erfüllen – in Deutschland funktionierte E-Voting nicht einmal mittels Wahlcomputer direkt in Wahllokalen! Die Stimmbürger und Wähler müssen stattdessen im Wesentlichen darauf vertrauen, dass die verwendeten E-Voting-Systeme im Sinn einer «Black Box» korrekt funktionieren und nicht manipuliert werden.

E-Voting als «Black Box»

Im Kanton Zürich ist das Statistische Amt für E-Voting zuständig und so gelangte ich mit folgenden Fragen an dessen Amtschef Prof. Dr. Giampiero Beroggi, nachdem online kaum relevante Informationen zu finden gewesen waren:

Gibt es eine Dokumentation zum E-Voting im Kanton Zürich und den verwendeten Systemen, insbesondere im Bezug auf das Stimmgeheimnis und die Nachvollziehbarkeit sowie Überprüfung der Abstimmungen und Wahlen? Wie können sich Zürcher Wähler selbst von der Sicherheit der verwendeten E-Voting-Lösung überzeugen?

Die Antwort von Dr. Beroggi fiel enttäuschend und wenig überzeugend aus, denn meine Fragen wurden weitgehend ignoriert:

Bezüglich der Sicherheit des E-Voting Systems muss zuerst gesagt werden, dass sich das heutige System in einer Testphase befindet, welche noch bis Ende 2011 dauert. Darin wird natürlich vor allem die Sicherheit untersucht. In dieser Testphase haben aber lediglich 10% der Stimmberechtigten im Kanton ZH Zugang zum E-Voting. Davon machen lediglich rund 20% Gebrauch, so dass nur rund 2% der abgegebenen Stimmen E-Voting Stimmen sind. Damit wird sichergestellt, dass schon in der Testphase, selbst wenn sich ein entscheidendes Sicherheitsproblem herausstellen würde, der Ausgang einer Abstimmung grundsätzlich nicht gefährdet sein sollte. Weiter muss bemerkt werden, dass selbst das Testsystem in allen Details von der Bundeskanzlei überprüft und abgenommen wurde.

Soviel zum Grundsätzlichen. Bezüglich öffentlich zugänglicher Berichte zum E-Voting kann ich Ihnen die zwei im Anhang beigefügten Berichte schicken, welche ja im Internet öffentlich zugänglich sind. Auf Ende 2010/anfangs 2011 werden wir dem Regierungsrat einen Schlussbericht zur Testphase 2008-11 vorlegen. Vermutlich wird ein Teil oder der ganze Bericht öffentlich sein, aber dann erst gegen Ende 2011.

Die erwähnten Berichte im Anhang der E-Mail-Antwort waren der Artikel «Secure and Easy Internet Voting» von Dr. Beroggi selbst vom Februar 2008 (PDF-Datei) und der bundesrätliche «Bericht über die Pilotprojekte zum Vote électronique» vom Mai 2006 (PDF-Datei).

Insbesondere der bundesrätliche Bericht führt die zahlreichen Risiken von E-Voting auf und bestreitet nicht, dass überzeugende Lösungen fehlen, hält aber dennoch an der Einführung von E-Voting in der Schweiz fest, wie sie in der Zwischenzeit schon deutlich fortgeschritten ist. Exemplarisch dazu das hilflose Zwischenfazit bezüglich Beweisbarkeit und Nachvollziehbar aus dem Bericht:

Die Risiken, die in einer fehlenden Nachvollziehbarkeit und Beweisbarkeit begründet sind, müssen als hoch eingestuft werden. Die Pilotkantone haben bei der Umsetzung Lösungsmöglichkeiten entwickelt, die zwar nicht eine individuelle, wohl aber eine demokratische Validierung der Abstimmungs- und Wahlresultate zulassen (kryptografische Schlüssel der Ausschüsse, Testgemeinden). Die Risiken konnten so auf ein vertretbares Mass reduziert werden. Sollte in der Öffentlichkeit behauptet werden, dass Stimmen manipuliert wurden, muss seitens der verantwortlichen Behörden jedoch mit grösster Umsicht vorgegangen werden.

Fazit

E-Voting ist mit zahlreichen Nachteilen verbunden, die das Vertrauen in die direkte Demokratie untergraben. Wie können zum Beispiel bei den oben erwähnten beiden Volksabstimmungen die gleichen zuständigen staatlichen Behörden in der Schweiz die beiden Vorlagen ablehnen und dennoch glaubwürdig gewährleisten, dass das entsprechende E-Voting korrekt durchgeführt wird? Wieso sollte man staatlichen Stellen vertrauen, obwohl die oben aufgeführten Anforderungen an Abstimmungen und Wahlen aus der Erkenntnis stammen, dass nur Kontrolle auf Dauer die Integrität direktdemokratischer Prozesse gewährleisten kann? Wieso sollte man sich auf die Angaben von Verwaltungsbeamten verlassen müssen, die man selbst nicht nachvollziehen darf?

E-Voting ist in der Schweiz nicht notwendig, denn das Abstimmen und Wählen an der Urne und brieflich funktioniert gut genug, und die vorhandenen Ressourcen könnten für die Verbesserungen dieser bewährten Verfahren genutzt werden. Es ist deshalb unverständlich, dass Schweizer Behörden und Politiker dennoch auf E-Voting setzen und die grundlegenden Gefahren von E-Voting zwar anmerken, im Ergebnis aber ignorieren – sie schwächen damit die Legitimation der direkten Demokratie in der Schweiz.

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3 Kommentare

  1. Erstellt am 25. November 2010 um 12:21 | Permanent-Link

    Völlig einverstanden. Wie ich schon hier ausgeführt habe, ist es nicht einmal nötig, auf die «vielen Nachteile» einzugehen, denn es genügt zu sagen, dass e-voting die Mindestanforderungen grundsätzlich nicht kumulativ erfüllen kann – es kann immer nur die eine oder andere Anforderung erfüllt werden. E-voting ist daher leider als untauglich, ja gefährlich abzulehnen.

    • Erstellt am 25. November 2010 um 13:29 | Permanent-Link

      Einverstanden, aber wieso zeigen die zuständigen Schweizer Behörden und Politiker diese Einsicht nicht?

      • Erstellt am 25. November 2010 um 13:59 | Permanent-Link

        Vermutlich liegt das daran, dass erstens die Argumentation nicht ganz trivial ist (kumulative Erfüllung der Kriterien ist nicht das gleiche wie Erfüllung jedes einzelnen Kriteriums separat), und zweitens lässt sich mit der Unterstützung von elektronischer Stimmabgabe vermeintlich gefahrlos Fortschrittlichkeit markieren. Es braucht wohl die Aufnahme des Arguments durch ein akzeptiertes Massenmedium.

Ein Trackback

  1. […] die E-Voting Gegner an der Entwicklung? Dazu sei beispielhaft auf einen aktuellen Artikel des Blogs http://www.direktedemokratie.com verwiesen. Unter der Überschrift “E-Voting: Ohne Vertrauen, um jeden Preis” hält der […]

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