Zürich hat beim Online-Grundbuch bewusst auf Sicherheitsmassnahmen verzichtet, wie sie der Kanton Aargau kennt. Das rächt sich jetzt

Das Zürcher System stellt wegen Missbrauchshinweisen oft schon früh am Morgen den Betrieb ein.

Marius Huber 4 min
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Die amtliche Vermessung im GIS-Browser erlaubt seit August den Zugriff auf Eigentümerdaten, wenn man nah genug an ein Grundstück heranzoomt.

Die amtliche Vermessung im GIS-Browser erlaubt seit August den Zugriff auf Eigentümerdaten, wenn man nah genug an ein Grundstück heranzoomt.

GIS

Ein Ticket fürs Konzert des Superstars Taylor Swift im Letzigrund und eine Eigentümerauskunft aus dem Zürcher Grundbuch haben überraschenderweise etwas gemeinsam: Wer sie bekommen will, muss früh aufstehen.

Die Konzerttickets waren schon nach wenigen Minuten restlos ausverkauft. Bei den Grundbuchdaten bekommt man zwar jeden Tag eine neue Chance, aber die Erfolgsaussichten sind nicht viel besser.

Wer zum Beispiel am 22. Dezember kurz vor acht Uhr morgens die Online-Abfrage des Grundbuches konsultierte, wurde vom System vertröstet. Das Limit der pro Stunde zulässigen Anfragen sei bereits erreicht, man solle es später noch einmal versuchen. Wer den Anbruch der nächsten Stunde abwartete und es dann sofort erneut versuchte, hatte Glück. Wer hingegen bis Viertel nach acht wartete, bekam eine neue Absage: Nun sei das Tageslimit erreicht.

Damit hält die Zürcher Online-Auskunft derzeit nicht, was sie versprach, als sie diesen Sommer mit deutlicher Verspätung auf andere Kantone eingeführt wurde. Sie sollte eine einfache, hürdenfreie Abfrage der Eigentümerdaten von Grundstücken gewährleisten. Von Informationen also, die in der Schweiz grundsätzlich öffentlich sind.

Wenige Klicks im Geoinformationssystem des Kantons (GIS) sollten genügen. Stattdessen muss man jetzt wieder wie zuvor zum Telefon greifen und das zuständige Grundbuchamt anrufen, um an die Informationen zu gelangen. Oder eine schriftliche Anfrage schicken.

Diese unbefriedigende Situation hat einen bedenklichen Hintergrund. Die zuständigen Techniker haben die Limiten gezielt herabgesetzt, weil es Hinweise auf Missbrauch gab, wie die Tamedia-Zeitungen zuerst vermeldeten.

Die Crux: Man darf nur Grundstücke abfragen, nicht Personen

Dazu muss man wissen: Der Bund erlaubt es den Kantonen zwar, die Grundbuchdaten online zugänglich zu machen; er verpflichtet sie aber zugleich, zu verhindern, dass Massenabfragen möglich sind.

Sonst könnten fleissige Datensammler eine Paralleldatenbank anlegen. Aus dieser liessen sich private Informationen ablesen, die dem offiziellen Grundbuch nicht zu entnehmen sind und die man kommerziell verwenden kann. Oder im schlimmsten Fall auch für kriminelle Zwecke. Insbesondere die Frage, wie viele Liegenschaften der Nachbar Meier eigentlich besitzt – woraus sich wiederum sein Vermögen abschätzen lässt.

Im offiziellen Grundbuch ist eine solche personenbezogene Abfrage nicht möglich. Man kann von Gesetzes wegen nur die Daten eines bestimmten Grundstücks in Erfahrung bringen.

Fachleute haben von Anfang an bezweifelt, dass die ins Zürcher System eingebauten Sicherheiten genügen, um Massenabfragen zu verhindern. Sie seien «nicht zeitgemäss», urteilte der auf Datenschutz spezialisierte Zürcher Rechtsanwalt Martin Steiger gegenüber der NZZ.

Dies gilt etwa für die sogenannte Captcha-Prüfung, ein Bilderrätsel, das automatisierte Abfragen verhindern soll. Der Kanton Aargau, der lange vor Zürich eine Online-Abfrage eingeführt hat, hat diese Methode als ungenügend verworfen.

Kaum ging das Zürcher System Ende August online, sprang die Zahl der Abfragen auf fast 12 000 an einem einzigen Tag. Das war ein Vielfaches gegenüber vorher, als die 44 Grundbuchämter pro Tag höchstens ein paar Dutzend Telefonanrufe beantworten mussten. Bis Anfang Oktober pendelte sich die Zahl dann bei knapp 6300 Anfragen ein.

Bei einer Überprüfung der abgerufenen Daten traten im Oktober «Auffälligkeiten» zutage. Es sei zwar nicht so gewesen, dass ganze Strassenzüge systematisch abgegrast worden seien, präzisiert das für das System zuständige Notariatsinspektorat auf Anfrage. Aber es habe über Tage hinweg unerklärliche Häufungen von Abfragen in wechselnden Gemeinden gegeben. Welche Gemeinden betroffen gewesen seien und in welchem Umfang, lasse sich nicht sagen.

Falls dahinter tatsächlich ein Missbrauch des Systems steht, wäre es also ein mit Absicht verschleierter, der nicht auf den ersten Blick als solcher zu erkennen ist.

Wer hinter dem Missbrauch steckt, wird man nie erfahren

Ob es wirklich eine Massenabfrage gab und wer dahintersteckt, ist laut dem Notariatsinspektorat nicht abschliessend geklärt, und dabei wird es auch bleiben. Es sei nicht möglich, die IP-Adressen der Geräte zu analysieren, von denen die auffälligen Anfragen ausgegangen seien. Und selbst wenn, wären die Personen hinter den Adressen nicht identifizierbar. Die Konsequenz: «Eine Suche nach den Verantwortlichen erfolgt nicht.» Stattdessen konzentrieren sich die Techniker seit bald drei Monaten auf die Frage, ob zusätzliche Sicherheitselemente nötig sind.

Im Kanton Aargau, wo Unbekannte ebenfalls Daten in grosser Menge heruntergeladen hatten, bekam man das Problem erst in den Griff, als eine Zwei-Faktor-Authentifizierung per Mobiltelefon eingeführt wurde. Jeder Nutzer muss ein Konto anlegen und sowohl Name als auch Telefonnummer angeben. Die Registrierung ist auch per Swiss ID möglich. Wer online eine Grundbuchauskunft verlangt, muss seine Identität zuerst per SMS bestätigen. Anders als in Zürich lässt sich im Aargau daher nachvollziehen, wer hinter welchem Zugriff steht.

Zürich hat laut dem Notariatsinspektorat bei der Einführung seiner eigenen Online-Abfrage aus verschiedenen Gründen auf ein solches System verzichtet: Erstens kostet ein SMS-Dienst Geld, zweitens wirft die Speicherung der Telefonnummern datenschutzrechtliche Fragen auf, und drittens wollte man die Abfrage nicht unnötig erschweren, da die Grundbuchdaten grundsätzlich öffentlich sind.

Genau das ist jetzt aber dennoch geschehen, indem das Angebot der online verfügbaren Daten als Reaktion auf den möglichen Missbrauch künstlich verknappt wurde. Dabei war auch die kantonale Datenschutzbeauftragte involviert. Pro IP-Adresse, also im Prinzip pro Gerät, sind seither nur noch zwei statt fünf Abfragen pro Tag möglich. Zudem wurde die Maximalzahl der täglichen Abfragen herabgesetzt.

Laut einer Antwort auf eine Anfrage aus dem Kantonsrat liegt die Obergrenze nun bei 2000 – das entspricht weniger als einem Drittel der Nachfrage in den Monaten zuvor. Bei diesem Tempo würde es über ein Jahr dauern, die Eigentümer aller rund 700 000 Grundstücke im Kanton Zürich in Erfahrung zu bringen.

Zusätzlich wurde inzwischen offensichtlich noch ein drittes Limit eingebaut, ein stündliches. Diese Massnahme war in der Antwort auf die Anfrage Ende November noch kein Thema. Es ist ein Hinweis, dass der Kanton Zürich das Problem noch nicht im Griff hat.

Das Notariatsinspektorat teilt denn auch mit: Die Auffälligkeiten im System seien – «wenn auch stark reduziert» – weiterhin festzustellen. Es seien Massnahmen in Planung, um automatisierte Massenabfragen zu erschweren. Ohne ausgefeiltere technische Hürden wird sich ein Missbrauch der Daten kaum verhindern lassen.