Nein, ein Referendum kann nicht zurückgezogen werden. Das Bundesgesetz über die politischen Rechte (BPR) hält seit dem 1. Juli 1978 ausdrücklich fest, dass ein Rückzug unzulässig ist.
Einschlägig ist der heutige Art. 59b BPR über die «Unzulässigkeit des Rückzugs»:
«Ein Referendum kann nicht zurückgezogen werden.»
Der Jurist Beat Kuoni von der schweizerischen Bundeskanzlei beschreibt im Onlinekommentar zu Art. 59b BPR die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung unter anderem wie folgt:
«Das Verbot, ein Referendum zurückzuziehen, wurde 1976 mit dem Erlass des BPR gesetzlich geregelt. Anlass für die neue Regelung waren keine Schwierigkeiten in der Praxis. Das Verfahren sollte vielmehr grundsätzlich geklärt werden, um künftigen Diskussionen zuvorzukommen. Gleichzeitig schätzte der Bundesrat das Risiko problematischer Konstellationen als gering ein. National- und Ständerat stimmten der Regelung diskussionslos zu.»
Wieso ist der Rückzug von Referenden nicht zulässig?
Der unzulässige Rückzug unterscheidet Referenden von Volksinitiativen:
«Das Referendum ist im Gegensatz zur Volksinitiative lediglich ein Antrag auf Durchführung einer Volksabstimmung über einen bestimmten Akt der Bundesversammlung. Der Entscheidungsprozess im Parlament ist abgeschlossen. Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Referendumsbegehrens haben kein sachliches Anliegen, das über die Forderung nach einer Volksabstimmung hinausgeht. Ein allfälliges Referendumskomitee benötigt kein Verhandlungspfand, um einem sachlichen Anliegen gegebenenfalls in anderer Form zum Durchbruch zu verhelfen. Der Rückzug von Referenden wird aus diesem Grund auch ohne ausdrückliches Verbot als unzulässig erachtet.»
Und:
«Nach Ansicht des Bundesrates soll das Rückzugsverbot dem Missbrauch des Referendumsrechts vorbeugen und verhindern, dass ‹Unernst und Spielelemente in den staatlichen Entscheidungsvorgang› Einzug halten. Obschon die Bestimmung aus rechtlicher Sicht nicht unbedingt nötig wäre, schafft sie für alle Akteure Klarheit.»
Siehe auch: Wie funktioniert das System der direkten Demokratie in der Schweiz? (swissinfo.ch)
Ab welchem Zeitpunkt gilt das Rückzugsverbot bei Referenden?
Der Rückzug ist unzulässig bzw. verboten, sobald ein Referendum bei der Bundeskanzlei eingereicht wurde. Dabei gilt:
«Urheberinnen und Urheber eines Referendums sind nicht verpflichtet, ihre gesammelten Unterschriften bei der Bundeskanzlei einzureichen; Unterzeichnende haben keinen Anspruch auf die Einreichung.»
Das Rückzugsverbot gilt praxisgemäss auch für einzelne Unterschriften, sobald sie bei der Bundeskanzlei eingereicht wurden.
Ein weiterer Unterschied zu Volksinitiativen ist, dass für Referenden kein Komitee erforderlich ist:
«Das BPR verlangt für das Referendum – im Gegensatz zur Volksinitiative – kein Komitee, das im Namen der Unterzeichnenden gegenüber den Behörden verbindliche Erklärungen abgeben kann. Da ein Referendum nicht zurückgezogen werden darf, besteht kein zwingender Bedarf für ein Komitee.»
Allerdings:
«In der Praxis bilden sich aber stets ein oder mehrere Referendumskomitees, welche die Sammlung, die Bescheinigung und die Einreichung der Unterschriften organisieren und gegenüber den Behörden als Kontaktpersonen auftreten. Ihnen wird die Verfügung über das (Nicht-)Zustandekommen mitgeteilt und sie können dem Bundesrat nach Art. 11 Abs. 2 BPR ihre Argumente mitteilen, damit er diese in den Abstimmungserläuterungen berücksichtigt. Eine eigentliche Repräsentationsfunktion kommt den Komitees aber nicht zu.»
Wieso stellt sich die Frage nach einem Rückzug beim E-ID-Referendum von 2025?
Die Frage, ob ein Rückzug zulässig ist stellt sich, im Zusammenhang mit dem Referendum von 2025 gegen das neue E-ID-Gesetz.
Eine umstrittene Organisation, die Unterschriften für das Referendum gegen das Gesetz für die neue staatliche E-ID gesammelt hatte, möchte gemäss einem Medienbericht diese Unterschriften nach der Einreichung bei der Bundeskanzlei zurückerhalten:
«Zwischen den verschiedenen Komitees, welche separat Unterschriften gegen das E-ID-Gesetz gesammelt haben, ist ein heftiger Streit entbrannt. Die Bewegung Mass-Voll fordert die sofortige Rückgabe eines Teils der am Donnerstag eingereichten Unterschriften.»
Die Organisation hatte ihre gesammelten Unterschriften an eine andere Organisation übergeben, welche die Unterschriften bei der Bundeskanzlei einreichte:
«Die Freunde der Verfassung hätten rund 20’000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht, die von Mass-Voll gesammelt worden seien, sagte Nicolas Rimoldi, Präsident von Mass-Voll […]. Eigentlich sei eine gemeinsame Einreichung der Unterschriften am kommenden Dienstag geplant gewesen. »
Mass-Voll und die «Freunde der Verfassung» wurden bekannt durch ihren Kampf gegen Massnahmen zum Schutz der Gesundheit der Menschen in der Schweiz in den ersten Jahren der COVID-19-Pandemie.
Der Weg der Unterschriften von der einen Organisation zur anderen Organisation ist mit Blick auf den Datenschutz interessant. Art. 59b BPR stellt aber unabhängig davon klar, dass für Referenden ein Rückzugsverbot besteht.
Bild: OpenAI / ChatGPT.