Richterliches Behördendeutsch aus dem letzten Jahrhundert

Foto: Obergericht des Kantons Zürich

In der Schweiz müssen nicht nur geschwätzige Rechtsanwälte mit richterlicher Kritik rechnen, sondern erfreulicherweise auch Behörden, deren Deutschkenntnisse als mangelhaft beurteilt werden.

Ein Beispiel dafür findet sich in einem obiter dictum des Obergerichts des Kantons Zürich, das sich im Sommer 2012 mit den Entscheiden eines Bezirksrates in einer Vormundschaftsangelegenheit zu befassen hatte (mit Hervorhebungen):

«Es ist angezeigt, für das weitere Verfahren auf zwei Punkte hinzuweisen: […] Der zweite Entscheid des Bezirksrates ist in einem einzigen Satz abgefasst, der sich über mehrere Seiten hinzieht. Die Amtssprache im Kanton Zürich ist Deutsch (Art. 48 KV), und die deutsche Sprache wird grundsätzlich in Hauptsätzen gesprochen und geschrieben. Die aus dem vorletzten Jahrhunderts stammende Technik des ‹in der Erwägung dass…, dass …› ist heute für den durchschnittlichen Leser und selbst für Rechtsmittelinstanzen nur noch schwer verständlich. Sie verleitet auch dazu, Banalitäten auszudrücken wie etwa die mitunter anzutreffende Floskel ‹nach Einsicht in die Akten …›– in einem ordentlich formulierten Entscheid würde niemand schreiben: ‹Das Gericht hat Einsicht in die Akten genommen›. Lange und komplizierte ‹dass …, dass … ›-Entscheide kommen jedenfalls in die Nähe der ungenügenden Begründung, was eine Verletzung des rechtlichen Gehörs bedeutete […].»

Das obergerichtliche Urteil NQ120028 vom 16. Juli 2012 umfasst im Übrigen auch in rechtlicher Hinsicht deutliche Kritik am Bezirksrat sowie der ebenfalls beteiligten Vormundschaftsbehörde – nachfolgend ein Beispiel aus dem Urteil (mit Hervorhebungen:

«[…] Ebenso merkwürdig ist freilich, dass auch die Vormundschaftsbehörde zuerst überhaupt nicht reagierte und dann in ihrer Vernehmlassung die Auffassung vertrat, mit der Fristansetzung zur Stellungnahme habe sich der Bezirksrat ‹für zuständig erklärt› – wie wenn die Zuständigkeiten im Verwaltungsrecht frei verhandelbar wären. Indem der Bezirksrat […] einen umfassenden Schriftenwechsel anordnete und erst dann seine Zuständigkeit prüfte, hat er gegenüber X. den Tatbestand der Rechtsverzögerung erfüllt. Das gleiche gilt, wenn auch weniger gravierend, für die Vormundschaftsbehörde, die in Kenntnis des Antrages und im Wissen um ihre Zuständigkeit das Geschäft nicht anhand nahmen. Die Rechtsverletzung durch den Bezirksrat ist förmlich festzustellen (Art. 6 Abs. 1 EMRK).»

(Via Anwaltskollege Rolf Zwahlen.)

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