Neuer Straftatbestand: Schweiz stellt Identitätsmissbrauch unter Strafe

Bild: Hacker mit Hoodie (medientypisches Klischeebild)In der Schweiz ist Identitätsdiebstahl bzw. Identitätsmissbrauch bislang nicht strafbar. Mit dem Inkrafttreten des neuen Datenschutzgesetzes wird diese strafrechtliche Lücke geschlossen.

Der neue Art. 179decies StGB, der mit der Revision des Datenschutzgesetzes (DSG) geschaffen wurde, lautet unter dem Titel «Identitätsmissbrauch» wie folgt:

«Wer die Identität einer anderen Person ohne deren Einwilligung verwendet, um dieser zu schaden oder um sich oder einem Dritten einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, wird auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.»

«Identität» ist gemäss Botschaft zum neuen DSG breit zu verstehen:

«Die Identität eines Menschen ist durch verschiedene konstituierende Merkmale bestimmbar, etwa durch seinen Namen, seine Herkunft, sein Bild, die soziale, familiäre oder berufliche Positionierung, sowie durch andere persönliche Daten wie Geburtsdatum, Internetadresse, Kontonummer oder Nickname

Allerdings muss die Täterschaft beabsichtigen, einen Schaden zu verursachen oder einen Vorteil zu erwirken:

«Die Verwendung einer Identität aus reinem Übermut oder als Scherz fällt damit nicht unter die Bestimmung. Die Verwendung einer neuen, fiktiven Identität fällt ebenso wenig in den Anwendungsbereich.»

Und:

«Der in der Strafbestimmung statuierte Nachteil für den durch den Identitätsmissbrauch Betroffenen muss eine gewisse Schwere erreichen und kann materieller oder immaterieller Natur sein.»

Immerhin:

«Die Absicht, beim Betroffenen einen massiven Ärger auszulösen, kann als Nachteilsabsicht bereits ausreichen.»

Unter Strafe gestellt wird nicht allein der Identitätsmissbrauch mit Computer oder Telefon:

«Die vorgeschlagene Strafbestimmung soll jedoch unabhängig vom Tatmittel und Medium, mit dem die Tat begangen wird, Anwendung finden. Auch der herkömmliche Missbrauch einer Identität, beispielsweise eine schriftlich erfolgte Warenbestellung oder eine persönliche, mündliche Kontaktaufnahme im Vorfeld eines sogenannten Enkeltrickbetruges, wird durch die Strafbestimmung erfasst.»

Der neue Straftatbestand kann in (echter) Konkurrenz zu heutigen Straftatbeständen stehen:

«Bei der Verwendung einer fremden Identität […] stellt sich in der Regel die Frage nach der Anwendung weiterer Strafbestimmungen wie Betrug, Urkundenfälschung oder Delikte gegen die Ehre. In Fällen, in welchen der Unrechtsgehalt der Tat durch den gleichzeitig anwendbaren Tatbestand nicht gänzlich abgedeckt wird, der Aspekt der Persönlichkeitsverletzung durch den Identitätsmissbrauch also noch nicht berücksichtigt wird, ist von echter Konkurrenz auszugehen. Beide Strafbestimmungen finden Anwendung.

Nimmt der Täter beispielsweise auf einem sozialen Netzwerk die Identität von B an und verleumdet C, wird neben dem Straftatbestand der Verleumdung auch der neu zu schaffende Tatbestand des Identitätsmissbrauchs angewendet. Nur so wird das gegen B begangene Unrecht geahndet und die bei diesem entstandenen negativen Folgen wie Reputationsverlust, Einleitung eines Verfahrens oder eine aufwändige und nur bedingt erfolgreiche Richtigstellung berücksichtigt.

Im Falle des unbefugten Beschaffens von Personendaten und dem anschliessenden Missbrauch der entsprechenden Identität kommen ebenfalls beide Strafbestimmungen zur Anwendung.

Erfolgt der Identitätsmissbrauch als Teil einer betrügerischen Handlung mit dem Ziel, einen unrechtmässigen Vorteil zu erlangen, kann der Betrugstatbestand auch den (in der Regel vorgelagerten) Tatbestand des Identitätsmissbrauchs umfassen, womit dieser mitbestraft ist.»

Die neue Strafbestimmung geht auf die Motion 14.3288 von Ständerat Raphaël Comte (FDP) zurück.

Der Bundesrat hatte die Motion mit Verweis auf bestehende Straftatbestände abgelehnt …

«Der Bundesrat ist dementsprechend der Auffassung, dass im Hinblick auf das Phänomen des Identitätsmissbrauchs keine strafrechtliche Lücke vorliegt. Im Allgemeinen werden die verschiedenen Aspekte des Phänomens je nach Absicht des Täters durch mehrere Strafbestimmungen erfasst. Die Schaffung einer spezifischen Strafbestimmung würde bei der Anwendung der Strafbestimmungen zu unnötigen Überschneidungen führen.»

… aber der Ständerat und der Nationalrat hatten der Motion jeweils deutlich zugestimmt. In den parlamentarischen Beratungen zum neuen DSG war der Straftatbestand unbestritten.

Strafbarer Identitätsmissbrauch ist als Antragsdelikt ausgestaltet. Die betroffene Person hat drei Monate Zeit, um Strafantrag gegen die Täterschaft zu stellen (Art. 30 Abs. 1 StGB).

Die dreimonatige Frist läuft, sobald die Täterschaft bekannt ist (Art. 31 StGB). Wenn die Täterschaft erst noch ermittelt werden muss, kann Strafantrag gegen Unbekannt gestellt werden.

Das neue DSG könnte am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Wann das neue DSG tatsächlich in Kraft treten wird, ist noch nicht bekannt.

Bild: Pixabay / xusenru, medientypisches Kli­scheebild von einem Hacker, Public Domain-ähnlich.

11 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Steiger

    Ich schreibe gerade eine Seminar Arbeit über das Thema: Der neue Tatbestand Identitätsmissbrauch Art. 179 Decies StGB.
    Ich hätte eine Fragen bezüglich des neuen Straftatbestandes.

    Meine Frage ist: Was sind die allfälligen Anwendungsprobleme mit dem neuen Tatbestand welcher seit dem 1.9.23 in Kraft getreten ist.

    Ich finde es schwierig, weil der Artikel.179 decies erst seit gut 1.5Monaten im StGB steht, und ich im Internet keine wirklichen Informationen über die Probleme gefunden habe, die sich daraus ergeben.

    Vielen Dank für Ihre Antwort.

    1. Momentan gibt es tatsächlich noch keine bekannten Anwendungsprobleme. Selbst wenn bereits Strafanträge gäbe, wäre in den entsprechenden Verfahren noch nichts oder kaum etwas passiert, und es wüssten nur die Direktbetroffenen davon. Insofern haben Sie das Privileg, für Ihre Seminararbeit frei spekulieren zu können.

      1. Vielen Dank für Ihre schnelle Antwort!
        Was würden Sie mir empfehlen darüber zu schreiben?
        Hätten Sie einige Tipps oder Ideen wie ich es gut umsetzten könnte?

        Würden Sie auf die Zukunft eingehen und vielleicht über die Möglichen zukünftigen Probleme schreiben?

        Vielen Dank.

  2. Guten Tag Herr Steiger

    Ich habe eine kurze Frage; ich wurde mit meiner Arbeitsemail (Bin Lehrer) auf einer P*rnoseite angemeldet. Es wurde ein Account erstellt jedoch muss ich diesen noch bestätigen und es steht ich soll die Email ignorieren wenn ich mich nicht angemeldet hätte. Ich habe die Vermutung dass es ein Schüler von mir war. Soll oder kann ich das rechtlich verfolgen bzw macht das Sinn?

    Vielen Dank für Ihre Antwort

    Grüsse Julien und noch einen schönen Abend

      1. Danke für ihre rasche Antwort. Der Account wurde auch wieder gelöscht. Würde das überhaupt unter Identitätsdiebstahl fallen (?) da ich eigentlich gerne wissen will wers war.

  3. Guten Tag Herr Steiger

    Hier geht es um die Nutzung eines Namen einer anderer Person. Wie sieht es aber rechtlich aus, wenn jemand plötzlich bei seinem Vornamen eine andere Schreibweise benutzt. In meinem Fall schreibt plötzlich ein Einzelfirmeninhaber seinen Vornamen Kristof, statt wie bisher Christoph, auch in offiziellen Dokumenten seiner Firma. Ich weigere mich aber in Protokollen und sonstigen Schriftstücken den neuen Namen zu verwenden, dass stösst bei ihm und meinen Arbeitskollegen auf Missfallen. Über eine offizielle Namensänderung hätte er sicher informiert, auch ist er im Handelsregister mit seiner üblichen schreibweise eingetragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das rechtens ist, sonst könnte er ja auch verlangen, dass wir ihn «Superman» nennen. Wie kann ich argumentieren?
    Freundliche Grüsse

      1. Danke für die Antwort, allerdings hilft sie nicht wirklich, weil ich nun immer noch nicht weiss, ob die Namensänderung rechtens ist. Die Einzelfirma heisst lt. Handelsregister «C. Nachname», jetzt schreibt er aber in allen Rechnungen etc. «K. Nachname», auch in neuen Verträgen. Ich kann einfach nicht glauben, dass das legal ist.

  4. Der Auszug aus dem Personengeburtregister bestätigt den Namen für meine Person wie folgt:

    Conrad
    Jean-Pierre Willy Numa

    Art. 24, 25 ZGB, welche in das Zentrale Personenstandsystem «Infostar», welche vom BJ unter dem EJPD betrieben wird, eingeflossen sind und auch Basis für die Bestimmungen vom RHG, SR 431.02 bildet, bestimmt klar, wie der Name einer natürlichen Person, gemäss Art. 11ff ZGB, zu schreiben ist, und dass die Datensätze für Familiennamen und Vornamen strikte zu trennen sind, entweder durch ein Komma gefolgt von einem Leerschlag oder durch die Benützung einer zweiten Linie, z.Bsp wie bei Pass, ID, Fahrbewilligung. Zu beachten ist zudem, dass immer zuerst der Familienname aufgeführt wird und auf Titel und Grade werden nicht verwendet. (Herr ist der unterste Grad eines Adelstitel, wird also weggelassen und gehört nicht dazu). Als Beispiel: Ernst, Peter. Eine Verwechslung darf nicht möglich sein, was bei diesem Familiennamen und Vornamen sehr wohl der Fall sein kann. Eine Verwechselung darf nicht möglich sein, was auch in den Bestimmungen von E-ID und E-Gov ganz klar erklärt aufgeführt ist.

    Aus diesen Bestimmungen setzen sich nun meinen Frage zusammenn, wie der rechtliche Sachverhalt ist, wenn bei einer Korrespondenz der Empfänger wie folgt genannt wird:

    Herr
    Jean-Pierre Conrad
    oder:
    Jean-Pierre Willy Numa Conrad
    oder:
    Herr
    Conrad Jean-Pierre Willy Numa

    Meine Auffassung ist, dass das, obwohl ähnlich lautend, eine andere Identität nennt, auf jeden Fall fühle ich mich mit diesen Namenderivaten nicht angesprochen. Ich führe keinen Titel wie «Herr» in meinem Namen, Die Datensätze sind vertauscht unvollständig und nicht voneinander getrennt. Zudem ist zu beachten, dass sowohl Conrad wie auch Numa beide als Familiennamen und Vornamen existieren.
    Bei weiterer Untersuchung dieser Schreibweisen fällt mir auf, dass alle diese Namenderivate die Bedingungen für eine Einzelfirma in Sinne von Art. 945 OR erfüllen. Da fragt sich, ob da eine natürliche Person ’nP‘ im Sinne von Art 11ff ZGB oder eine juristische Person ‚jP‘ im Sinne von Art 52ff ZGB gemeint ist. Eines ist sicher, mir ist weder eine nP noch eine jP mit diesem Namen bekannt noch habe ich eine Vollmacht, Korrespondenz für diese Personen öffnen zu dürfen, siehe Art. 179 StGB.
    Weitere Frage die sich hier stellt ist, wird mit dieser Schreibweise versucht, dem Empfänger mit ähnlichem Namen vorzutäuschen, dass die Korrespondenz an ihn gerichtet ist, somit effektiv an: Conrad, Jean-Pierre Willy Numa und zur Öffnung der Korrespondenz bewegen und somit, rein rechtlich gesehen, mit der Öffnung dieser Korrespondenz «Einlassung» im rechtlichen Sinne begeht mit der Beründung, er habe sich ja dabei angesprochen gefühlt.
    Weitere Frage dazu ist, ist die Verwendung von Namensteilen einer effektiven nP auch als eine Art von Identitätsdiebstahl im Sinne von Art. 179Decies StGB zu werten oder ist das eher nur bei Art. 146 StGB anzusiedeln wenn dabei ein Schaden für die getäuschte Person entsteht mit der Begründung, dass durch die Benutzung von Namensteilen der nP, dieser nP vorgetäuscht wurde, dass die Korrespondenz an die an der Anschrift angemeldete nP gerichtet ist. Vorsicht ist die Mutter der Porzelankiste – ist es in solchen Fällen nicht eher angebracht, die Korrespondenz an den Emittenten zurückzusenden mit der Bitte, den Empfänger mit seinem richtigen, vollständigen und belegbaren Namen in der Anschrift zu nennen? Zumal, weder eine nP noch eine jP mit der derivaten Schreibweise an der Anschrift bekannt ist und auch in Anerkennung und Anwendung der gesetzlichen Maxime:
    Talis non est eadem; nam nullam simile est Idem, (Black’s Dictionary of Law 2nd edition)
    Oder wie kann man sich schützen – Betrügereien unter Verwendung von Namensderivaten sind im Vormarsch, wie man immer wieder aus der Presse erfahren kann.
    Vielen Dank für eine wohlwollende Aufnahme dieser Schilderung und hoffe, dass Ihr Interesse und/oder das anderer Blogbesucher damit geweckt worden ist.

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