Kantonsgericht Zug verpflichtet Ringier zur Gewinnherausgabe an Jolanda Spiess

Dokument: Entscheid des Kantonsgerichts Zug vom 22. Januar 2025 im Verfahren A1 2020 56 (Auszug)

Das Kantonsgericht Zug verpflichtet den Medienkonzern Ringier, den Gewinn von CHF 309’531.00 im Zusammenhang mit vier «Blick»-Artikeln aus den Jahren 2014 und 2015 an Jolanda Spiess herauszugeben.

Der entsprechende Entscheid vom 22. Januar 2025 im Verfahren A1 2020 56 betrifft vier widerrechtlich persönlichkeitsverletzende Artikel über Jolanda Spiess und die Landammannfeier vom 20. Dezember 2014 im Kanton Zug.

Jolanda Spiess, damals Politikerin und heute aktiv gegen digitale Gewalt, hatte gegen den Medienkonzern Ringier bzw. die Ringier AG auf Gewinnherausgabe geklagt.

Das schweizerische Zivilgesetzbuch sieht in Art. 28a Abs. 3 ZGB diese Möglichkeit bei einer widerrechtlichen Verletzung der Persönlichkeit ausdrücklich vor:

«Vorbehalten bleiben die Klagen auf Schadenersatz und Genugtuung sowie auf Herausgabe eines Gewinns entsprechend den Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag.»

Entscheid im Musterverfahren: Gewinnherausgabe für vier «Blick»-Artikel

Es handelt sich um ein Musterverfahren, denn im «Blick» waren schätzungsweise 150 Artikel im gleichen Zusammenhang veröffentlicht worden.

Dokument: Entscheid des Kantonsgerichts Zug vom 22. Januar 2025 im Verfahren A1 2020 56 (Auszug)

Zur Gewinnherausgabe in Höhe zwischen CHF 25’238.00 und CHF 112’791.00 pro Artikel kommt jeweils ein Zins von 5.0 %.

Der Zins fällt erheblich ins Gewicht, da seit der Veröffentlichung der Artikel jeweils rund zehn Jahre vergangen sind.

Die Ringier AG muss Jolanda Spiess ausserdem eine Parteientschädigung von CHF 112’495.50 einschliesslich Auslagen und Mehrwertsteuer bezahlen. Die Parteientschädigung deckt – wie fast immer in der Schweiz – nur einen Teil der tatsächlichen Kosten.

Die Gerichtskosten betragen CHF 30’000.00. Die Ringier AG muss vier Fünftel der Gerichtskosten tragen, Jolanda Spiess einen Fünftel.

Die Verteilung der Gerichtskosten zeigt, dass Jolanda Spiess zu rund vier Fünfteln obsiegt hat. So hatte Jolanda Spiess mehr Gewinn eingeklagt, als die Ringier AG gemäss dem Entscheid nun herausgeben muss.

Der Entscheid ist nicht rechtskräftig. Die Ringier AG kann während der nun laufenden Frist von 30 Tagen Berufung beim Obergericht des Kantons Zug erheben.

Gewinnberechnung: Brutto-Gewinn und Redaktionskosten plus Gewichtung

In der Sache stehen der Gewinn der Ringier AG mit den «Blick»-Artikeln und der Kausalzusammenhang zwischen diesem Gewinn und den widerrechtlichen Verletzungen der Persönlichkeit von Jolanda Spiess im Vordergrund.

Das Kantonsgericht Zug äussert sich in seinem Entscheid ausführlich zur Gewinnberechnung. Mit Verweis auf insbesondere BGE 133 III 153 verwirft das Gericht die von der Ringier AG geforderte «Mehrgewinn-Methode» und folgt weitgehend einem gewichteten Berechnungsmodell der klagenden Jolanda Spiess.

Dokument: Entscheid des Kantonsgerichts Zug vom 22. Januar 2025 im Verfahren A1 2020 56 (Auszug)

Das Gericht ging bei den einzelnen Artikeln von folgenden Brutto-Gewinnen und Redaktionskosten aus:

In prozessualer Hinsicht gab es einen interessanten Nebenschauplatz, denn die Ringier AG bestritt ihre Passivlegitimation.

Der Medienkonzern Ringier stellte sich auf den Standpunkt, die eingeklagte heutige Ringier AG sei erst 2019 als Ringier Business AG gegründet wurden. Die eingeklagten «Blick»-Artikel habe aber eine andere damalige Ringier AG veröffentlicht, nämlich die heutige Ringier Art AG, die zwischenzeitlich auch als Ringier Art & Immobilien AG firmierte.

Die Ringier AG drang mit dieser Argumentation nicht durch. Sie hatte, so das Gericht, insbesondere die fehlende Passivlegitimation im Verfahren nicht rechtskräftig bestritten.

Ferner erhob die Ringier AG die Einrede der Verjährung. Die Ringier AG hatte damit keinen Erfolg.

Jolanda Spiess hatte, so das Gericht, die Verjährung mindestens im Betrag von CHF 500’000.000 rechtzeitig unterbrochen. Dieser Betrag liegt über der Gewinnherausgabe in Höhe von CHF 309’531.00.

Bei der Parteientschädigung für Jolanda Spiess ist bemerkenswert, dass darin auch Kosten für ein Privatgutachten enthalten sind. Diese Kosten werden «ausnahmsweise als notwendige Auslagen nach Art. 95 Abs. 3 lit. a ZPO» ersetzt.

Ringier: Wie geht es nach dem Entscheid weiter?

Der Medienkonzern Ringier AG war bereits 2006 durch das Bundesgericht grundsätzlich zur Gewinnherausgabe im Zusammenhang mit zwei widerrechtlich persönlichkeitsverletzenden Artikeln über den Vater der Tennisspielerin Patty Schnyder im «SonntagsBlick» verpflichtet worden.

Im damaligen Verfahren war die Höhe der Gewinnherausgabe aber noch nicht bestimmt und die Parteien schlossen einen vertraulichen Vergleich. Der Entscheid aus dem Kanton Zug mit der Berechnung der Gewinnherausgabe ist damit eine medienrechtliche Premiere in der Schweiz.

Die Ringier AG wird prüfen müssen, ob ein vertraulicher Vergleich auch in der vorliegenden Angelegenheit in Frage kommt.

Wenn die Ringier AG auf dem Rechtsweg letztlich verpflichtet würde, für rund 150 betroffene «Blick»-Artikel durchschnittlich jeweils CHF 50’000.00 zuzüglich Zins an Gewinn an Jolanda Spiess herauszugeben, würde die Gesamtforderung von Jolanda Spiess deutlich mehr als 10 Millionen Franken betragen.

Die Ringier AG muss sich fragen, ob sie damit rechnen kann, den Entscheid des Kantonsgerichts Zug am Obergericht des Kantons Zug und danach allenfalls am Bundesgericht entschärfen oder gar umstossen zu können.

Mit Blick auf die laufende Frist gehe ich davon aus, dass die Ringier AG allein schon vorsorglich Berufung erheben wird. Die Anwaltskollegen, welche den Medienkonzern Ringier vertreten, benötigen genügend Zeit für die Erarbeitung ihrer Rechtsschrift.

In jedem Fall hat das Kantonsgericht Zug mit seinem Entscheid erst einmal ein spannendes Präjudiz zur Gewinnherausgabe im schweizerischen Medienrecht geschaffen.


Nachtrag: Ringier erhebt Berufung am Obergericht des Kantons Zug

Der Medienkonzern Ringier teilt mit, man werde Berufung am Obergericht des Kantons Zug erheben.

Die Ringier AG erklärt im Wesentlichen, man habe effektiv viel weniger Gewinn erzielt als gemäss dem Entscheid des Kantonsgerichts Zug herausgegeben werden müsse:

«Das Kantonsgericht Zug hat die Klage auf Gewinnherausgabe von Jolanda Spiess-Hegglin gegen Ringier erstinstanzlich mehrheitlich gutgeheissen (CHF 309’531 von eingeklagten CHF 431’527). Die Höhe des zugesprochenen Gewinnherausgabeanspruchs steht in keinem Verhältnis zum effektiv erzielten Gewinn, den Ringier dem Gericht im Detail offengelegt und mit einem Gutachten von PwC belegt hat. Ringier wird das Urteil beim Obergericht des Kantons Zug anfechten. »

In einer weiteren Mitteilung spricht Ladina Heimgartner, «Head Media» der Ringier AG im Rang einer Direktorin , von einem «fatalen Schlag gegen den freien Journalismus»:

«Die Berichterstattung über die Ereignisse rund um die ehemalige Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin und die Landammann-Feier 2014 zählt nicht zu den publizistischen Sternstunden dieses Landes und des Blicks. Die Art und Weise, wie vor 10 Jahren über die Ereignisse berichtet wurde, ist Ausdruck eines harten Boulevardstils, den Blick längst nicht mehr praktiziert, und das ist gut so.

Das Kantonsgericht Zug hat im Rahmen des folgenden Rechtsstreits im Jahr 2020 festgestellt, dass der Blick mit seiner Berichterstattung Jolanda Spiess-Hegglins Persönlichkeitsrechte verletzt hat. Dieses Urteil haben wir akzeptiert. Bereits zuvor hatte unser Group CEO, Marc Walder, öffentlich bei Jolanda Spiess-Hegglin um Entschuldigung gebeten. Auf eine von uns vorgeschlagene aussergerichtliche Einigung wollte sich Jolanda Spiess-Hegglin bislang nicht einlassen.

Aber: Im jüngst publizierten Gerichtsurteil geht es nicht um die Verhandlung der Persönlichkeitsverletzung. Hier geht es um die Frage der Gewinnherausgabe, konkret: Muss Ringier den mit den vier eingeklagten Artikeln erzielten Gewinn an die Klägerin herausgeben und vor allem: Wie hoch ist dieser Gewinn? Spiess-Hegglin fordert für die vier Artikel 431’527 Franken plus 5 Prozent Zinsen. Demgegenüber hat Ringier die tatsächlich erzielten Geschäftszahlen rekonstruiert, im Detail dargelegt und mit einem Gutachten des Wirtschaftsprüfers PwC belegt. Der tatsächliche Gewinn belief sich auf einen kleinen Bruchteil der geforderten Summe.

Das Gericht ignoriert in seinem Urteil die von Ringier offengelegten Geschäftszahlen und den eingereichten Gutachten von PwC weitgehend und stellt vielmehr ein Ergebnis in Höhe von rund 309’000 Franken in den Raum. Dies entbehrt jeglicher faktischen Grundlage. Hätten wir 2014 (als das Online-Geschäft noch bei Weitem nicht so entwickelt war wie heute) solche Gewinne erzielt, hätten wir heute keine Finanzierungskrise der Medien.

Dieses Urteil gefährdet die Medienfreiheit in unserem Land: Journalistinnen und Journalisten werden unter diesen Vorzeichen das «Risiko» einer personenbezogenen Berichterstattung kaum mehr eingehen wollen. Der Schweizer Journalismus hat auch die Aufgabe, die Mächtigen und die Machtzentren dieses Landes zu überwachen und Fehlverhalten an die Öffentlichkeit zu tragen. Wenn dem Journalismus aber derartige «Strafzettel» blühen, werden Journalistinnen und Journalisten künftig zweimal überlegen, ob sie dieser Kernaufgabe wirklich konsequent nachkommen wollen. Der freie Journalismus ist eine wichtige Stütze der Demokratie und verdient es, unter allen Umständen geschützt zu werden. Mit dem vorliegenden Urteil des Zuger Kantonsgerichts bröckelt dieser Schutz.

Ringier wird das Urteil entsprechend anfechten. »

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