Ständerätin Petra Gössi (FDP, Schwyz) fordert mit einer Motion einen «besseren Schutz des geistigen Eigentums von KI-Missbrauch» in der Schweiz.
Die Umsetzung der Motion könnte zu einem faktischen Verbot für generative KI führen. Schon jetzt führt die Motion zu erheblicher rechtlicher und wirtschaftlicher Unsicherheit.
Mit der Motion 24.4596 wird der Bundesrat beauftragt, «die nötigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass journalistische Inhalte und sonstige vom Urheberrecht erfassten Werke und Leistungen bei der Nutzung durch KI-Anbieter umfassend Schutz erfahren.»
Die Motion betrifft demnach alle urheberrechtlich geschützten Werke gemäss Art. 2 des schweizerischen Urheberrechtsgesetzes (URG).
Geschützt sind Werke wie Bilder, gesprochene Sprache, Musik, Texte und Videos, die einen «individuellen Charakter» haben. Man spricht auch von der erforderlichen «Schöpfungshöhe».
Was genau fordert Ständerätin Petra Gössi mit ihrer Motion?
Für den «umfassenden Schutz», den Ständerätin Petra Gössi fordert, soll das schweizerische Urheberrechtsgesetz (URG) wie folgt angepasst werden:
«Die Zustimmung der Urheberrechtsinhaber ist notwendig, wenn journalistische Inhalte und weitere originäre Kreativleistungen in irgendeiner Weise für Angebote generativer KI ausgelesen, verarbeitet und wieder angeboten werden – als Verwendungsrechte unter Art. 10 Abs. 2 URG oder der Generalklausel in [Art. 10] Abs. 1 [URG].»
Art. 10 Abs. 1 URG bestimmt, dass «Der Urheber oder die Urheberin […] das ausschliessliche Recht [hat] zu bestimmen, ob, wann und wie das Werk verwendet wird.»
Und:
«In den Schrankenbestimmungen (in Art. 19 Abs. 3, ggf. Art. 24a, 24d und 28 URG) ist klarzustellen, dass sich solche öffentlichen Dienste und Angebote nicht auf Ausnahmen oder Schranken des Urheberrechts berufen können.»
Die Schrankenbestimmungen erlauben bestimmte Nutzungen ohne die Zustimmung der Rechteinhaber, zum Beispiel den Eigengebrauch (Art. 19 URG), vorübergehende Vervielfältigungen (Art. 24a URG), die wissenschaftliche Forschung (Art. 24d URG) sowie die Berichterstattung über aktuelle Ereignisse und die Information über aktuellen Fragen (Art. 28 URG).
Diese Schrankenbestimmungen, darunter allenfalls auch das Zitatrecht (Art. 25 URG), möchte Ständerätin Gössi im Zusammenhang mit generativer KI aushebeln.
Und schliesslich:
«Das schweizerische Recht ist anwendbar und die Gerichte in der Schweiz sind zuständig, wenn Inhalte in solcher Weise in der Schweiz angeboten werden.»
Für urheberrechtliche Angelegenheiten sind in der Schweiz grundsätzlich die höchsten kantonalen Gerichte oder, sofern vorhanden, die kantonalen Handelsgerichte zuständig (Art. 5 ZPO).
Wie begründet Ständerätin Petra Gössi ihre Motion?
Ständerätin Petra Gössi begründet ihre Motion mit der «massiven Gefährdung» der «Innovationskraft» und des «fairen Wettbewerbs» in der Schweiz.
Im Volltext lautet die Begründung von Ständerätin Gössi für die Motion wie folgt:
«In der Schweiz, die über keine eigenen natürlichen Ressourcen, dafür umso mehr Innovationskraft verfügt, hat der Schutz des geistigen Eigentums seit jeher einen hohen Stellenwert. Der rasante Fortschritt im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) stellt diesen essentiellen Schutz nun aber in Frage, wodurch die Innovationskraft und der faire Wettbewerb in der Schweiz massiv gefährdet werden.»
Und:
«Diese Tendenz betrifft Urheber und Rechteinhaber aller kreativen Bereiche. Besonders stark zeigt sie sich aber im Medienbereich. So werden Medieninhalte von internationalen KI-Diensten ohne Genehmigung zur Entwicklung von Sprachmodellen (Training und Fine Tuning) verwendet. Selbst die Bezahlschranken der Schweizer Medien werden durch die künstliche Intelligenz umgangen. So greifen KI-Systeme (wie zum Beispiel Perplexity) selbsttätig auf einzelne relevante Inhalte zu, formulieren die Inhalte um und geben diese für ihre Nutzenden als «Auskünfte» wieder (Retrieval Augmented Generation). Schweizer Medien werden so durch die internationalen KI-Dienste als Anbieter ihrer eigenen Informationen ersetzt und verdrängt. Für die Schweiz, die auf freie Medien angewiesen ist, ist diese Entwicklung fatal. Aus demokratiepolitischer Sicht muss darum das Urheberrecht konsequent und gemäss seinem Sinn und Zweck durchgesetzt werden.»
Und schliesslich:
«Festzuhalten ist, dass durch die KI-Anbieter geschützte Inhalte verwendet werden, was grundsätzlich unter das Urheberrecht fällt. Sie werden vervielfältigt und bearbeitet, und so in der Schweiz zugänglich gemacht. Es handelt sich um kommerzielle Angebote, die nicht von den Ausnahmen (Schranken) des Urheberrechts erfasst sein dürften. Insbesondere können solche Angebote nicht als Eigengebrauch, wissenschaftliche Forschung oder bloss flüchtige oder begleitende Vervielfältigungen erlaubt sein.»
Die Motion wurde im Ständerat weitgehend diskussionslos angenommen, nachdem der Bundesrat die Annahme der Motion beantragt hatte.
Ständerat Jakob Stark (SVP, Thurgau) betonte, es dürften nicht «journalistische Inhalte ins Zentrum gerückt» werden, sondern es müssten die «berechtigten Interessen der gesamten schweizerischen Kreativwirtschaft» berücksichtigt werden.
Ständerätin Isabelle Chassot (Die Mitte, Fribourg) erklärte, das Urheberrecht sei «eine der Säulen jeder liberalen Wirtschaft, da es Eigentum garantiert, im vorliegenden Fall geistiges Eigentum». Sie forderte gleichzeitig eine Orientierung an den europäischen Nachbarländern, insbesondere mit einem Blick nach Deutschland.
Das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE) sieht in der Motion ein Vorbild für die geplante sektorbezogene KI-Regulierung in der Schweiz.
Unklar ist, wieso Ständerätin Gössi das Lauterkeitsgesetz (UWG) nicht erwähnt. Immerhin geht es im UWG um den «fairen Wettbewerb», den Gössi für «massiv gefährdet» hält.
Wieso könnte die Motion zu einem faktisch Verbot für generative KI führen?
Die Motion könnte zu einem faktischen Verbot von generativer KI in der Schweiz führen, weil für einen grossen Teil der schweizerischen Inhalte für die KI-Nutzung die Zustimmung der Rechteinhaber («Opt-in») erforderlich wäre.
Es wäre in der Praxis aber nicht möglich, die Zustimmung aller Rechteinhaber einzuholen. Die Folge wäre ein faktisches Verbot für generative KI.
Das faktische Verbot würde unter anderem folgende KI-Nutzungen betreffen:
- Training von KI-Modellen
- Such-Funktion («Web Search» und «Deep Research»)
- Nutzung sonstiger externer Informationsquellen (Retrieval-Augmented Generation, RAG)
- Transkribieren oder Vorlesen von Inhalten
- Zusammenfassen von Inhalten
KI-Regulierung als Zwickmühle – am Beispiel der Schweizer Medien (David Rosenthal)
Kommt es wirklich zu einem faktischen Verbot für generative KI in der Schweiz?
Die Motion stiess bislang nicht auf sichtbaren Widerstand. Die Annahme auch im Nationalrat ist deshalb denkbar, sofern sich dort die Befürworter und Förderer der Schweiz als KI-Standort nicht wirksam einbringen können.
Mit der Annahme auch im Nationalrat müsste der Bundesrat eine Gesetzesvorlage ausarbeiten. Aufgrund der klaren Vorgaben wäre der Handlungsspielraum für den Bundesrat beschränkt.
Der Gesetzgebungsprozess würde einige Jahre dauern, aber schon jetzt führt die Motion zu erheblicher rechtlicher und wirtschaftlicher Unsicherheit.
Die Schweiz konnte sich als KI-Standort etablieren. Die Grossen der KI-Welt haben Niederlassungen in Zürich eröffnet und in diesem Jahr findet das erste «Zurich AI Festival» statt. Die ETH Zürich und die EPFL werden in Kürze ein KI-Sprachmodell «im Dienst der Gesellschaft» veröffentlichen und erhalten dafür Vorschusslorbeeren.
Mit der Motion müssen sich Wirtschaft und Wissenschaft fragen, ob sie weiterhin in den schweizerischen KI-Standort investieren möchten. Es geht um hunderte Millionen Franken und einen mindestens mehrjährigen Planungshorizont.
Für die Nutzer von generativer KI in der Schweiz stellt sich die Frage, ob sie ChatGPT und viele andere, auch heute noch gar nicht bekannte oder existierende Dienste, in einigen Jahren noch nutzen können.
Unternehmen wie Anthropic, Google, Meta, Microsoft oder OpenAI könnten in Zukunft ihre Dienste für die Schweiz nicht mehr oder nur noch mit beschränktem Funktionsumfang anbieten. Sie würden, wenn überhaupt, mit einigen grossen Medienunternehmen entsprechende Verträge abschliessen und ansonsten auf Daten aus der Schweiz verzichten.
Wenn die Kreativwirtschaft und die Medien in der Schweiz im Zusammenhang mit generativer KI mehr Geld aus Zwangsabgaben erhalten sollen, gäbe es mit der kollektiven Verwertung durch Verwertungsgesellschaften eine bewährte politische Lösung.
Diese Lösung schliesst die Motion von Ständerätin Petra Gössi aber aus, da kollektive Verwertung gerade ohne die geforderte «Zustimmung der Urheberrechtsinhaber» auskommt.
Siehe auch:
- KI-Regulierung als Zwickmühle – am Beispiel der Schweizer Medien (David Rosenthal)
- Das Training von KI-Sprachmodellen mit fremden Inhalten und Daten aus rechtlicher Sicht (David Rosenthal / Livio Veraldi)
- Training von KI: Was Urheberrecht, Datenschutz & Co. erlauben (David Rosenthal)
- NZZ erfindet «Datenklau» durch Perplexity AI beim «Einsiedler Anzeiger»
- Die KI-Modelle beklauen die Medien – Fehlender Faktencheck der NZZ (dnip.ch)
Bild: OpenAI / ChatGPT.
guten Tag herr Steiger, ich lese Ihre Kommentare regelmässig. Danke für den Text in Sachen Mo Gössi. Das beschäftigt mich als CEO von Swico seit einiger Zeit.
Spannend auch ihr Podcast !
freundliche Grüsse
Jon Fanzun
Vielen Dank für die positive Rückmeldung!
Hallo. «massiven Gefährdung» der «Innovationskraft» und des «fairen Wettbewerbs» in der Schweiz ist gegeben wenn generative KI in der Schweiz verboten würde.
Zum Thema «Bezahlschranke»
Weder GPT-5 noch Perplexity können eigenständig „Paywalls umgehen“ – technisch wird nur auf Inhalte zugegriffen, zu denen die jeweilige Plattform über legale Quellen Zugang hat.
Betreiber von Websites können in ihrer robots.txt, HTTP-Header oder über technische Mechanismen (z. B. Login-Pflicht, Token-Authentifizierung) festlegen, dass Crawler keinen Zugriff auf bestimmte Bereiche haben.
Bei Paywalls ist der Zugriff rechtlich zusätzlich geschützt: Ohne Login oder gültiges Abo dürfen die Inhalte nicht genutzt werden.
Manche Dienste (z. B. Perplexity, Arc Search) holen Inhalte aber über Partner-APIs oder eigene Abos. Dann gilt: Der Rechteinhaber könnte den Partner vertraglich verpflichten, keine KI-Trainingsnutzung zu erlauben – oder sie explizit erlauben.
Der umfassend Schutz ist also schon gegeben, wenn man diesen entsprechend umsetzen würde.
Ich habe claude opus 4.1 den Text der Motion von Gössi gegeben, als PDF der Website des Bundes.
Resultat deckt sich stark mit ihrer Einschätzung. https://claude.ai/share/a9640dc5-1aa7-4912-b93c-0c0e1e6d3fbc
spannend
Spannend, merci!
80 ProfessorInnen der ETH und der EPFL sollen gemäss persoenlich.com vor einer Annahme der Motion Gössi gewarnt haben. Es wäre hilfreich und fair, wenn diese Liste öffentlich zugänglich wäre, damit zum Beispiel ersichtlich wäre, aus welchen Studiengebieten diese Bedenken überhaupt stammen. Haben Sie diese Liste gesehen? Falls ja: Ist sie geheim? Falls nein, wäre ich dankbarer Abnehmer.