Heute steht Célines Peiniger vor Gericht

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DietikonHeute steht Célines Peiniger vor Gericht

2017 hat sich die 13-jährige Céline das Leben genommen. Sie war in sozialen Netzwerken beleidigt und bedroht worden. Nun kommt der Fall vors Gericht.

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Es kommt selten vor, dass die Presse an Verhandlungen gegen Jugendliche zugelassen ist. Die Jugendstrafprozessordnung sieht vor, dass das Gericht dennoch Publikum zulassen kann, wenn es das öffentliche Interesse gebietet. Dieses ist am Mittwoch im Cybermobbing-Prozess im Fall Céline gegeben.

Das 13-jährige Mädchen aus Spreitenbach nahm sich im ­August 2017 das Leben, nachdem es gemobbt worden war. Am Mittwochnachmittag steht ihr inzwischen 17-jähriger Ex-Freund wegen Nötigung und Pornografie vor dem Jugendgericht Dietikon. Céline war aufs Heftigste in den damals knapp 15-jährigen Knaben aus Dietikon verliebt – einen «F*** Boy» mit zweifelhaftem Ruf. Er war zuvor mit einer 16-jährigen Kollegin von Céline zusammen, die eifersüchtig wurde.

«Jez ish dis lebe verbi»

Der Junge spielte die beiden Mädchen gegeneinander aus. Er forderte Céline Anfang August 2017 in einem Whatsapp-Chat auf, ihm weitere erotische Fotos zu schicken, ansonsten werde er die bereits erhaltenen Bilder der Ex-Freundin zustellen. Mit der Bemerkung «yk (you know, Anm. d. Red.) how it works» unterstrich er die Forderung. Aus Angst, dass der Freund dies machen würde, schickte ihm Céline via Snapchat weitere erotische Bilder zu – im naiven Vertrauen, dass er die Fotos nicht weiterschickt.

Doch er sandte diese anschliessend seiner eifersüchtigen Ex-Freundin weiter, die Céline übel beschimpfte: «Jez ish dis lebe verbi, ich mach der dis lebe so chabbut», «ich brich der din hals» und «wür dich eigehändig umbringe, also pass uf, was du machsch». Zudem teilte sie ein Selfie von ­Céline in freizügiger Pose auf Snapchat. «Das hat sie gebrochen», sagte ihre Mutter. Zwei Wochen später nahm sich Céline in der elterlichen Wohnung das Leben.

Die eifersüchtige Ex-Freundin wurde wegen «versuchter Drohung» verurteilt und musste einen zehntägigen Arbeitseinsatz im Büro der Jugendstaatsanwaltschaft leisten. Der Junge erhielt einen Strafbefehl wegen Nötigung und Pornografie – er hatte Céline rund 20 Fotos seines Penis geschickt. Célines Eltern haben Einsprache gegen den Strafbefehl erhoben und verlangen eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung.

Parallelen zu Fall in Uster

Der Fall Céline hat Parallelen zu einem ähnlichen Fall im Bezirk Uster. Ein 31-jähriger Schweizer hatte 2016 im Chat ein 14-jährige Finnin kennen gelernt. In der Folge schickte er ihr Nacktbilder von sich und drängte sie dazu, ihm auch Nacktbilder zu schicken, was sie tat. Diese veröffentlichte der Mann auf einem Pornoportal – und er löschte sie trotz dessen Bitten nicht. Drei Monate nach dem letzten Kontakt nahm sich die 14-Jährige das Leben. Sie hatte schon zuvor schwere psychische Probleme gehabt.

Deshalb war das Bezirksgericht Uster im November 2018 zum Schluss gekommen, dass es keinen Kausalzusammenhang zwischen dem Suizid und den verschicken Sexfotos gebe. Der Mann wurde zu einer unbedingte Freiheitsstrafe von 42 Monaten verurteilt, aufgeschoben zugunsten einer Therapie. Der Mann gelangte ans Obergericht, welche die Strafe auf 28 Monate senkte, ebenfalls aufgeschoben zugunsten einer ambulanten Therapie.

«Gesetz kann Cybermobbing nicht verhindern»

Die Eltern von Céline fordern, dass das Schweizer Straf­gesetzbuch mit einem eigenen Straftatbestand «Cybermobbing» ergänzt wird. Für den Zürcher Anwalt Martin Steiger, Experte für Recht im digitalen Raum, ist ein solcher Gesetzesartikel «nüchtern betrachtet» nicht nötig. Er erwähnt, dass mit dem Strafgesetz Cyber­mobbing nicht unterbunden, sondern lediglich bestraft werden kann. «Die Schwierigkeit besteht darin, den Zusammenhang zwischen Mobbing und Suizid zu beweisen.» Mithilfe des Zivilrechts sei es aber möglich, ehrverletzende Texte und Äusserungen sofort zu löschen.

Auch der Baarer Rechtsanwalt und Informatikexperte Lukas Fässler hält nichts von einem neuen Gesetzesartikel. «Ich bin kein Befürworter immer neuer Gesetze. Wir alle – auch die Minderjährigen – sind über die Bestimmungen zum Persönlichkeitsschutz grundsätzlich sehr gut geschützt.» Das Problem sieht Fässler in der Sensibilisierung Jugendlicher in Bezug auf einen achtsamen Umgang mit sozialen ­Medien. Und: Man müsse offen über Verunglimpfungen und Mobbing sprechen, und die Behörden (Schulen, Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte) müssten ­diese schonungslos verfolgen.

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