Schadenersatz bei Abmahnungen: Bundesgericht korrigiert SAB-Preisempfehlungen um mehr als Faktor 50 nach unten

Foto: Rappenmünzen (Schweizerfranken)

Das Bundesgericht demontiert mit einem jüngeren Urteil die SAB-Preisempfehlungen in der Schweiz. Fotografen und Rechteinhaber fordern bei Abmahnungen immer wieder Schadenersatz für angebliche Urheberrechtsverletzungen mit Verweis auf «Empfehlungen» der SAB.

Mit BGer 4A 168/2023 vom 21. April 2023 bestätigt das Bundesgericht, dass die Vorinstanz eine Forderung von 2’820 Franken zu Recht auf 55 Franken herabgesetzt hatte. Die SAB-Preisempfehlungen lagen um mehr als Faktor 50 daneben!

Die meisten Fotografien haben, wenn überhaupt, nur einen bescheidenen wirtschaftlichen Wert. Das hält viele Fotografen und Rechteinhaber nicht davon ab, bei Abmahnungen einen wesentlich höheren wirtschaftlichen Wert zu behaupten.

In der Schweiz bilden häufig die SAB-Preisempfehlungen die Grundlage für die entsprechenden märchenhaften Geldforderungen. In Deutschland gibt es die vergleichbaren MFM-Bildhonorare.

Die MFM-Bildhonorare werden über eine jährliche anonyme (!) Umfrage ermittelt und sind in der Folge meilenweit vom Markt entfernt. Wie die SAB-Preisempfehlungen ermittelt werden, ist mir nicht bekannt.

Ausgangslage: Forderung nach Schadenersatz gemäss SAB-Preisempfehlungen

Die Ausgangslage beschreibt das Bundesgericht unter anderem wie folgt:

«Die Vorinstanz führte zutreffend aus, massgebend für die Bemessung des Ausgleichsanspruchs sei der objektive Wert des Erlangten, d. h. der Marktwert. Bei unberechtigter Nutzung eines Immaterialgüterrechts sei dies eine angemessene Lizenzgebühr. […] Weiter führte die Vorinstanz aus, der Marktwert lasse sich ziffernmässig nicht strikt beweisen, weshalb der Richter den Marktwert in sinngemässer Anwendung von Art. 42 Abs  2 OR aufgrund einer Schätzung als ausgewiesen erachten dürfe. […].»

Und:

«Der Beschwerdeführer [und Fotograf] stützte die verlangten Fr. 2’820.– für die Nutzung der Fotografie auf die Preisempfehlungen 2017 der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Bild-Agenturen und -Archive (SAB-Empfehlungen) und machte geltend, dass er sich auch sonst bei der Rechnungsstellung an den SAB-Empfehlungen orientiere. Die Beschwerdegegnerin bestritt, dass die vom Beschwerdeführer fakturierten Preise den Marktpreisen entsprechen.»

Und auch:

«Die Vorinstanz stellte nicht auf die SAB-Empfehlungen ab. Sie erwog, ohne eine individuelle Vereinbarung komme solchen Branchenempfehlungen, wie diejenigen der SAB, keine rechtserhebliche Bedeutung zu. Sie dienten allein der Orientierung und könnten nur herangezogen werden, sofern sie vom Markt auch tatsächlich befolgt würden. Letzteres bestreite die Beschwerdegegnerin und werde vom Beschwerdeführer nicht belegt. Er mache keine konkreten Ausführungen dazu. […] Zudem behaupte er nicht, dass die SAB-Tarife in der Branche allgemein befolgt würden. […] Somit sei weder behauptet noch belegt, dass die SAB-Tarife in der Branche tatsächlich befolgt würden und es sich somit um Marktpreise handle.»

Der Fotograf hielt insbesondere mit der folgenden Eigendarstellung der SAB in ihren «Empfehlungen» dagegen:

«Die Honorar- und Konditionsempfehlungen der SAB bieten seit vielen Jahren allen am Bildermarkt Beteiligten eine wichtige Informations-und Orientierungshilfe. Sie sorgen für Transparenz und geniessen in der Werbe- und Medienbranche Beachtung und Anerkennung.»

Bundesgericht: Keine belegte Verwendung der SAB-Preisempfehlungen im Markt

Das Bundesgericht liess sich davon nicht beeindrucken und erklärte unter anderem:

«Ohnehin bleibt auch die Schlussfolgerung der Vorinstanz intakt, dass eine tatsächliche Verwendung der SAB-Empfehlungen im Markt keineswegs belegt sei. […] [Der Fotograf] habe demzufolge bloss pauschal behauptet, aber nicht nachgewiesen, dass die SAB-Tarife den Marktpreisen entsprächen. […]»

Und:

«Mangels klägerischer Behauptungen und Belegen zu den Marktpreisen ging die Vorinstanz von den Beweismitteln aus, welche die Beschwerdegegnerin für die Marktpreise eingereicht hat. Diese Beweismittel zeigten, dass auf dem Markt für die Nutzung solcher Bilder wie die streitbetroffene Fotografie Preise zwischen Fr. 10.– und Fr. 99.– bezahlt würden. Mangels weiterer Angaben zur konkreten Preisbestimmung erscheine es sachgerecht, die Gebühr auf den Durchschnittspreis festzulegen, mithin gerundet auf Fr. 55.–.»

Zwei Argumente des Fotografen bezeichnete das Bundesgericht sogar als «unerfindlich»:

«Weshalb sodann das automatische Einfügen des ‹firmeneigenen› Wasserzeichens zu einem höheren Marktwert der Nutzung des Bildes führen soll, wie der [Fotograf] postuliert, bleibt unerfindlich. Darin liegt vielmehr ein Aspekt der Urheberrechtsverletzung, aber nicht der Bemessung des Ausgleichsanspruchs.»

Und:

«Gleiches gilt für das Argument des [Fotografen], dass bei einer unautorisierten Nutzung tendenziell ein höherer Wert zu veranschlagen sei, weil der Urheber hier keine Einflussmöglichkeit auf die Einzelheiten der Nutzung nehmen könne. Die Einzelheiten der Nutzung betreffen wiederum die Frage, inwiefern eine Verletzung des Urheberrechts vorliegt, ändern aber nichts am Marktwert der zu entschädigenden Nutzung.»

Realität: Viele Fotografien haben keinen relevanten wirtschaftlichen Wert

Fotografien haben nur ausnahmsweise einen relevanten wirtschaftlichen Wert. Damit müssen Fotografen und Rechteinhaber leben. Sie können nicht mit märchenhaften Forderungen bei Abmahnungen diese – für sie unbefriedigende – wirtschaftliche Realität ändern.

Philip Kübler, der Direktor der schweizerischen Verwertungsgesellschaft ProLitteris, empfiehlt Fotografen mit Verweis auf das Bundesgerichtsurteil unter anderem:

«Als Lehre lässt sich ziehen, dass Fotografinnen und andere Kreativschaffende ihre Offerten und Rechnungen nach einem Preissystem gestalten sollten.»

Und:

«Im Fall eines Missbrauchs seiner Werke sollte der Urheberrechtskläger vor Gericht nicht nur die eine unbezahlte, sondern ein paar Dutzend bezahlte Rechnungen vorweisen. Damit beweist man den Marktwert der unerlaubt genutzten Werke. […]»

Das praktische Problem für die meisten Fotografen ist, dass solche Rechnungen den tatsächlichen Marktwert zeigen, der weit entfernt von den SAB-Preisempfehlungen oder den MFM-Bildhonoraren liegt.

Diese Realität ist der Grund, wieso sich Fotografen bei Abmahnungen fast nie auf ihre tatsächlich erzielten Preise beziehen. An dieser Realität scheitert auch eine weitere Empfehlung von Philip Kübler:

«Weil es nicht genügt, pauschal zu sagen, dass ein Branchentarif den tatsächlich erzielten Marktpreisen entspricht, könnten die Berufsverbände Prävention betreiben, indem sie ihre Honorarempfehlungen – im Rahmen des wettbewerbsrechtlich Zulässigen – mittels Studien und Daten erhärten.»

Die Branchen- und Berufsverbände werden sich hüten, den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert von Fotografien belastbar zu dokumentieren.

Siehe auch:

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